Gottesdienst am Sonntag Exaudi - 21. Mai 2023 - Abschiedspredigt Diakon Günter Neidhardt

Predigttext: Jeremia 29,7a

Ihr Lieben, 

so meine Anrede, die ich oft benutzt habe und auch immer so gemeint habe. 

Als ich, es war wohl im März, gefragt wurde, ob ich denn einen Bibelvers auf der Einladungskarte zu meinem Abschied stehen haben möchte, habe ich gesagt: „Ja klar.“ 

Und dann fängt so ein Nachdenken an, welcher Vers denn passen würde. Ich habe mich dann für einen Halbvers auch dem Buch des Propheten Jeremia entschieden: „Suchet der Stadt Bestes“ 

Als dann die die Karte gedruckt war und ich sie mit nach Hause brachte, sagte meine Frau Gabi: „Ach ja, da hast du schon immer mal wieder was dazu gepredigt“. 

Stimmt! Es liegt wohl daran, dass ich diesen Vers für so wichtig erachte, weil er diesseitig ist. Auf das Geschehen vor Ort abzielt. Auf das Konkrete in der konkreten Situation. Das Hier und Jetzt. 

Also ihr Lieben. 

Schauen wir ein bisschen in die Geschichte, damals. Wir sind so in der Zeit um 600 vor Christus. Das kleine judäische Volk, das sich um den Tempel in Jerusalem sortiert, hat ein Problem, ist eingeklemmt zwischen zwei Großmächten. Da sind die Ägypter im Süden und die Babylonier im Norden. 

Kennen wir. Da sind Entscheidungen zu treffen. Kalkül! Mit wem tun wir uns zusammen und wie vermeiden wir es, es uns mit jemanden zu verscherzen.  

Im religiösen waren die Menschen um Jerusalem, na sagen wir mal, flexibel.  

Klar, am Sabbath gehen wir in den Tempel und beten, gemäß den jüdischen Ordnungen und unter der Anleitung der Priester, pflegen unseren traditionellen Glauben. Wochentags halten wir uns da offen. Da wird dann schon mal eine Ikone des Wohlstands angebetet. Goldene Kälber und so.  

Kennen wir. So ein Kalb heißt dann vielleicht „Freie Fahrt für freie Bürger, oder auch immer höher immer weiter ohne Rücksichtnahme. Oder eben auch pragmatisch von Montag bis Samstag. 

„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen!“ Bismarck soll das gesagt haben. Helmut Schmidt hat es auf jeden Fall gesagt. Dieser Satz meint doch: In der Bergpredigt – und damit der Bibel überhaupt – geht es um den Menschen vor Gott und um sein ewiges Seelenheil. Die Politik hat es dagegen mit der Verantwortung für die Gestaltung der Welt zu tun. Beide Bereiche gilt es feinsäuberlich auseinanderzuhalten, weil in beiden unterschiedliche Regeln gelten. Haben der Reichskanzler a.D. und der Bundeskanzler a.D. mit ihrer Behauptung recht? 

Und dann dieser Bibelvers: „Suchet der Stadt Bestes“ 

Erlaubt mir einen Einschub. 

Immer wieder muss ich in der Zeitung, oder wo auch immer, lesen bzw. hören: 
„Unser Wohlstand ist in Gefahr“ (Kriegskrise, Treibstoffkrise, Heizkrise, weiß der Kuckuck was Krise…) 

Derartige Schlagzeilen regen mich auf! Die meisten von euch wissen es. Wir (also meine Frau und ich) haben vor der Rödentaler Zeit in Tansania gelebt und gearbeitet. Zugegeben, mit zwei halben deutschen Gehältern, recht privilegiert. Aber wenn wir hier bei uns einen vermeintlichen Wohlstandsverlust beklagen, dann denke ich an die Menschen, nicht weit von unserem damaligen Domizil, leben und deren Häuser/Lehmhütten aufweichen, zusammensacken, weil plötzlicher Starkregen alle Wände aufweicht. Oder umgekehrt, weil es seit Monaten keine Regen mehr fällt, alle Saat vertrocknet und Hunger das Ergebnis ist.  

Dann, um es höflich auszudrücken, dann wird es mir schlecht, wenn wir hier einen Wohlstandsverlust beklagen.  

Ihr Lieben, ich möchte nicht vergessen, dass auch bei uns Menschen an der Armutsgrenze und darunter leben. Auch ihnen muss unsere Untertützung und Solidarität gelten. Auch für sie gilt: Sucht der Stadt Bestes. 

Wenden wir uns wieder Jeremia zu. 

Er hat, bevor es kam, wie es wohl kommen musste, den Judäern ins Gewissen geredet. „So läuft das nicht hier“. Solange ihr meint, dass alles schon irgendwie wird, dass wir uns so durchlavieren können, wird alles schon nicht so schlimm werden. Falsch gedacht. 

Kennen wir. Klimaziele, naja können wir auch schön rechnen. Ausnahmegenehmigen und ein paar populistische Ansagen. Zukunft kommt ja erst später.  

Zurück zu Jeremia. 

Es kam wie es wohl kommen musste. Das Heer der Babylonier hat Judäa überrannt, den Tempel zerstört und die Eliten des Volkes, also Politiker, Priester, Kaufleute und so, nach Babylonien verschleppt. 

Dort waren sei dann und der 137.  Psalm beklagt, dass sie da an den Flüssen Babylons saßen uns weinten. Die Popgruppe Boney M hat daraus, in den 7oer Jahren, einen Hit gemacht. Rivers of Babylon.  

Jeremia blieb in Jerusalem. Offensichtlich gehörte er nicht zum Establishment das verschleppt wurde.  

Er schreibt also an die Verschleppten in babylonischer Gefangenschaft (es ist ja nicht so klar ob sie wirklich als unterdrückte sklavenähnliche Menschen vegetieren mussten). 

Er schreibt ihnen also diesen Brief.  Ich stelle mir vor, dass die Verschleppten da nicht so empfänglich waren. Noch dazu von einem, der sowieso immer nur Unheil predigte.  

Und wer weiß. Warum durfte der denn in Jerusalem bleiben. Willst du uns nicht nur im Namen des aktuellen „Königs“ Zedakia, beruhigen. Appeasement nennt man das wohl. 

Da kann man schon mal über Menschenrechte, das Bestreben nach Freiheit und Gleichheit und Geschwisterlichkeit übersehen. Appeasement eben. 

Ja, ja, so argumentiert man gerne. Bis heute. Wer autorisiert dich denn. Und hast du überhaupt studiert? Und jetzt denke doch mal an das „Große Ganze“ 

Egal, Jeremia schreibt seinen Brief, im Auftrag Gottes und offensichtlich kommt er auch, bei den Eliten in Babylon an. 

Und das was er schreibt, das schreibt er auch uns. Also aufgepasst: 

Zitat: 
So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels (merke: nicht Jeremia) zu allen Weggeführten, die ich (!) von Jerusalem habe wegführen lassen: 

„Sucht der Stadt Bestes. Baut Häuser und wohnt darin; platzt Gärten und esst ihre Früchte, nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt euren Töchtern Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet“ (Jer. 29, 4-7) 

Diese Botschaft, das ist auch die Botschaft für uns, heute und hier.    

Nicht an den „Rivers of Babylon“, sondern am Ufer der Röden. 

Wir kennen den Begriff des „wandernden Gottesvolkes“ das bezieht sich auf das Volk Israel das sich aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit hat und durch die Wüste zog. Zielrichtung gelobtes Land. 

Offensichtlich gibt es aber auch ein bleibendes Gottesvolk. Da wo ihr seid, da seid ihr richtig schreibt Jeremia. Jammert nicht darüber, dass früher alles besser war. In Jerusalem und an der Röden. Beklagt euch nicht, dass früher die Gottesdienste besser besucht waren und dass Gottes Bodenpersonal so zahlreich war, wie die Sterne am Himmel.  

Baut Häuser und legt Gärten an. Erntet die Früchte. Gründet Familien.  

Das macht doch Hoffnung. Da ist Zukunft, da wo ihr seid. Und oftmals wachsen ja neue Früchte, wenn man es wagt die bekannten Strukturen zu verlassen. Es muss doch nichts bleiben wie es immer war. Am Fluss zu sitzen und zu weinen ist bestimmt keine Perspektive. 

Pflanzen und wachsen lassen (nicht einjährige Balkonpflanzen), Familien gründen und Eltern und Großeltern werden, das ist keine kurzfristige Angelegenheit. Diese Projekte sind auf lange Zeit angelegt. Es mag schon sein, dass wir nur Gast auf Erden sind, aber wir sind hier. Und wir sind nicht die letzte Generation.  

Bei allem Verständnis für das Anliegen dieser Aktivisten (über deren Aktionsform kann man ja vielleicht streiten) Wir reden nicht von kurzfristigem Aktionismus. 

Es gilt auch nicht, sich mit dem gegebenen einfach abzufinden. Ganz im Gegenteil. 

Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn, wenn es ihr wohl geht, geht es auch euch wohl. 

Der Stadt Bestes, das bedeutet das Beste für die Menschen die hier leben. ALLE Menschen die hier leben.  

Martin Luther übersetzt, wortgewaltig „Suchet der Stadt Bestes…“. In der Bibelübersetzung von Martin Buber heißt es, konkreter: „Fragt nach dem Frieden der Stadt“. Luthers „Bestes“ für die Stadt ist der Frieden, der Zustand lebensfördender Gemeinschaft. Bezogen, ich wiederhole mich, auf das Hier und Jetzt.  

Und betet für sie zum Herrn! Allein sind wir nicht. 

Den Menschen in Babylon ist die Rückkehr nach Jerusalem zugesagt. Das ist die Perspektive, die Hoffnung, die Zukunft in den Blick genommen. 

Und so schließe ich mit der Zusage Gottes an Noah: 
„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. 

Amen