Gottesdienst am 1. Pfingstfeiertag - 23. Mai 2021

 

Predigt:

Diakon Günter Neidhardt

"Der Geist Gottes ist mitten unter uns"


Beten wir in der Stille um Gottes Segen durch sein Wort.

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.


Liebe Gemeinde, Happy Birthday to you!

Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag – zum Geburtstag der Kirche.

Das Pfingstfest – also der Jahrestag heute! – gilt ja als die Geburtsstunde der Kirche.

Wir haben das gerade in der Evangeliums-Lesung gehört: Jesus hat den Jüngerinnen und Jüngern versprochen, seinen Geist auf die Erde zu schicken, einen Beistand, einen Tröster. Und ein paar Tage später wird es dann wahr.

Ich stelle mir vor, dass die Jünger und Jüngerinnen damals, so kurz nach der Himmelfahrt Jesu, seinem endgültigen Abschied von dieser Erde, unsicher, traurig, verzagt, …. waren.

Jesus war gekreuzigt worden, ist auferstanden – das haben sie selber gesehen – und dann wurde er in den Himmel entrückt. Jetzt sind sie allein, auf sich gestellt. Heiliger Geist, was ist das, was soll das sein? Da sind doch Hoffnungen, ja ganze Lebensentwürfe enttäuscht worden. Frustgefühl?

Aber so sollte das eben nicht bleiben. Die Jünger und Jüngerinnen sind da, in Jerusalem – auf einmal! – dieser Windhauch, erst ein säuseln dann ein kommt ein Brausen auf, etwas wie Feuerflammen setzt sich auf ihre Köpfe. Und sie sind erfüllt vom Heiligen Geist.

Da ist es wieder, dieses Feuer. Sie fangen an zu predigen. Jede und Jeder. Und die Leute verstehen sie! Da sind Menschen aus allen möglichen Ländern, kaum einer kann die Sprache des andern – aber alle versehen jedes Wort. Einer redet – und die Menschen um ihn herum verstehen, was er sagt. Eine Jüngerin fängt an zu predigen und alle, die sie hören, haben eine Idee davon, wofür Jesus Christus stand, was er wollte, wer er war, wer er ist.

Und so entstand die Kirche Jesu Christi. Immer mehr Menschen wurden angesprochen, immer mehr waren begeistert, immer mehr kamen dazu, immer mehr wurden eingeladen. Eine sagt etwas und der andere versteht. Selbst wenn man nicht dieselbe Sprache spricht, Das ist a bis heute keine Selbstverständlichkeit. Hier klappt es. Die Menschen verstehen sich.

Der Geist Gottes ist mitten unter ihnen.

Ihr Lieben, es sind ja nicht wenige unter uns die sich das auch für jetzt, für unsere Kirche hier und heute wünschen. So einen Aufbruch, so ein mitreißen, stürmisch, feurig.

Der Geist Gottes kommt über uns. Macht alles neu. Geburtstag, neuer Geburtstag. Aber ist diese Geschichte von Gottes Geist wirklich so etwas Neues, das erst mit Pfingsten in die Welt kam?

Ist das wirklich neu? Ist nicht der Geist Gottes immer schon da gewesen?

Doch, das war er – von Anfang an. Im ersten Vers der Bibel wird eine Art Urmeer beschrieben – da kann man noch gar nichts erkennen, nicht Land und Ufer, nicht Tag und Nacht, nicht Mensch oder Pflanze oder Tier. Aber „Gottes Geistschwebt über den Wassern“, so erzählt es die Schöpfungsgeschichte.

Auch in den weiteren Geschichten der hebräischen Bibel, also in unserem Alten Testament, ist an vielen Stellen die Rede vom Geist Gottes – allerdings nicht immer so, wie es gewünscht wäre.

So auch in der Erzählung, die der Predigttext für heute ist. Ich lese aus dem Ersten Buch Mose im 11. Kapitel:

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner der anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Liebe Gemeinde,

es war Gottes Geist, der diesen Turm zerstört hat. Wie anders können wir uns das vorstellen? Gott fährt hernieder und zerstreut die Menschen. Gott zerstört den Turm, den sie gerade bauen und Gott zerstreut die Menschen in verschiedene Sprachen.

In der Entwicklung der menschlichen Kultur ist diese Geschichte vom Turmbau und der Entstehung der Sprachen, der Anfang von allem. Ab jetzt sehen wir Menschen, die sich unterschiedlich entwickeln: Verschiedene Sprachen, verschiedene Traditionen und Rituale – die Menschen sind zerstreut. Sie verstehen sich nicht, verständigen sich auch nicht. Jedenfalls nicht ohne Übersetzung, Vermittlung und Erklärungen. Bis heute erleben wird das so, oft schmerzhaft. Oft missverständlich. Ich erinnere mich dabei gut an meine Zeit in Tansania: Auch wenn ich die Sprache einigermaßen gelernt habe, blieb mir doch vieles an Traditionen, an Riten, an Bedeutungen, an Symbolen vollkommen verborgen.

Da war er und da ist er, dieser Turmbau und diese Sprach- und Kulturverwirrung.

Später, viel später, ist es dann genau anders herum. Am Pfingstfest in Jerusalem verstehen sie sich, obwohl sie verschiedene Sprachen sprechen. Hier führt Gott wieder zusammen. Alle verstehen sich, alle sind sich einig.

Es entsteht eine neue Gemeinschaft. Jüdinnen und Heiden beten in derselben Gemeinde, sie hoffen gemeinsam auf Jesus Christus, der für alle Welt gekommen ist, für alle Menschen – nicht nur für das erwählte Volk Gottes und seine Sprache – sondern für alle. Es entsteht eine ganz neue Form von Gemeinschaft. Sie geht neue Wege, stellt neue Regeln auf und verbreitet sich nach und nach über die ganze Welt. Menschen aus allen Sprachen kommen dazu, aus allen Kulturen.

Lasst mich noch mal auf die weltweite christliche Kirche zurückkommen, nicht nur auf die in Tansania. Kirche, das ist tatsächlich Vielfallt. Vielfallt an Sprache, an Kultur, an theologischem Verständnis. Klar, wir sind deutsche, evangelisch-lutherische Christen, das ist ja auch OK so. Pfingsten erinnert uns aber auch daran, dass Christentum auf dieser Welt so vielfältig gelebt und praktiziert wird, so vielfältig wie unsere Welt eben ist. In Afrika und Amerika, in Asien und in Europa und selbst da ja schon wieder ganz unterschiedlich. Welch ein Reichtum!

Paulus wird später schreiben, in Christus sei nicht Grieche, nicht Jude. Für uns heute könnte das heißen: In Christus spielt es keine Rolle, ob ich Äthiopierin oder aus dem Iran komme, ob Deutscher oder Peruaner….

So gesehen ist an Pfingsten nichts völlig Neues entstanden, denn der Geist Gottes war ja auch vorher schon da. In der Zerstreuung – aber auch in anderen Geschichten, in denen der Geist Gottes die Menschen stärkt und ermutigt.

Und doch ist – auf lange Sicht – daraus etwas Neues entstanden.

Nicht ganz neu, das stimmt. Aber trotzdem etwas Anderes.

Das ist wohl immer so, wenn etwas Neues entsteht. Es fällt ja nicht – komplett neu – vom Himmel. Wenn etwas Neues beginnt, dann hat es doch immer Bezüge zu dem, was vorher schon war.

Wenn Sie an persönliche Veränderungen in Ihrem Leben denken, ist es dann nicht auch so? Was neu geworden ist, hat schon vorher begonnen, da ist etwas gewachsen – erst habe ich es gar nicht so wirklich erkannt – aber dann, nach einer Weile, hat es vieles Neue geprägt, es gestaltet, verändert. Dann ist etwas neu geworden, anders als vorher. Und doch nicht so ganz neu.

Vermutlich ist es mit den Veränderungen in unserer Kirche auch so. Wir sind in einem Prozess der Veränderung, das ist ziemlich klar. Seit einem guten Jahr erleben wir, dass eine internationale Krise unser Gemeindeleben verändert. Vor einem Jahr haben wir Pfingsten im Ausnahmezustand gefeiert. Seither feiern wir Gottesdienste virtuell oder halt, wie heute: Mit Mund-Nasen-Schutz und mit viel Abstand, ohne Gesang im Gottesdienst. In der Corona-Krise ist vieles weggebrochen, was bis dahin fest zu unserer Gemeinde gehört hat. Der Seniorenkreis und das Frühstück im Gemeindehaus, jeden Dienstag, die Konfi-Freizeit, die Kindergartenandachten, Besuche, Gottesdienste im Altenheim, das Gemeindefest …. vieles mehr. Manches ist anders geworden seitdem. Manches ist vielleicht sogar verloren gegangen – Anderes ist neu entstanden.

Manche von Ihnen denken jetzt vielleicht gerade an das, was wir jetzt gerade nicht mehr, oder noch nicht mehr wieder haben, ich habe ja gerade einiges genannt.

Manche denken vielleicht an das, was neu entstanden ist, auch bei uns: Online-Andachten, Live-Streams von Gottesdiensten, Osterfrühstück to go, viele Telefongespräche, Basteltüten aus dem Kindergarten.

Wo stehen wir heute als Kirche? Was machen wir anders als vor einem Jahr? Wie haben wir auf die Herausforderungen von Corona reagiert? Was ist neu geworden bei uns – und erreicht vielleicht noch mal ganz andere Menschen, als zuvor? Und was ist zerstreut, zerstört worden, verloren, begraben?

Nichts wird bleiben, wie es immer schon war. Und Neues entsteht immer aus dem, was schon vorher am Wachsen war.

Dazu gehört auch die Herausforderung: Wie damit umgehen, dass Mitarbeiterstellen in unserer Kirche eingespart werden müssen. Dass eine Vakanz in unserer Gemeinde entstehen wird.

Liebe Gemeinde,

der Heilige Geist wirkt beides: das Zerstören und Verlieren, das Aufgeben, wie das Turmbauprojekt in Babel. Aber er bewirkt auch  das Verbinden und Wachsen. Neues kann entstehen

Auch die Kirche, auch unsere Gemeinde wird sich weiter verändern. Was aber bleibt ist Gottes Geist. Ich sehe diesen Geist Gottes, den Geist Jesu Christi, wie eine Klammer um Anfang und Ende der Zeit. Gottes Geist zerschlägt und zerstreut, Gottes Geist baut auch auf und verbindet. Gottes Geist wirkt in uns – von innen – und ist immer schon da.

Das sehen auch andere so. Im Judentum ist ganz klar, dass Gottes Geist von Anfang an da ist. In allem, was kommt, wirkt Gottes Geist und führt am Ende alle zusammen im himmlischen Jerusalem.

Im Islam glaubt man es auch so – Gottes Geist ist gegenwärtig von der Schöpfung bis zur Erlösung im Paradies.

Und auch im Hinduismus gibt es ähnliche Gedanken vom Geist, der alles durchdingt, und der alle Geschöpfe zur Einheit mit sich selbst führt.

Es mag durchaus eine Spur von Wahrheit in jeder Religion liegen. Aber für uns hat diese Klammer vom Anfang bis zum Ende einen Namen: Jesus Christus. In ihm sind wir verbunden, in allen Sprachen, Kulturen, und Konfessionen – in ihm sind wir eine Kirche.

Und die hat ihre Geburtsstunde in Jerusalem.

Happy Birthday. Amen.