Die Predigt

Gabriele Hantke
Bildrechte Fritze

Videogottesdienst Sonntag Judika

Predigt:
Prädikantin Gabriele Hantke

"All eure Sorgen bringt vor das Kreuz"

Gruß

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Amen.

Der Herr sei mit Euch.

Und mit Deinem Geist.

Judika – so heißt der heutige Fastensonntag. Der Name kommt von einem Wort aus dem 43. Psalm, wo es heißt: Schaffe mir Recht, Gott – judica me Deus. Schaffe mir Recht – wie oft mag das der eine oder die andere sagen, wenn er oder sie erlebt, dass Ungerechtigkeit geschieht, dass das Leben einfach manchmal ungerecht ist. Auch zum Predigttext des heutigen Sonntages passt dieser Ausruf des Psalmbeters – und wird damit zu einer Einladung, sich auch in solchen Momenten des Lebens, wo wir vieles nicht verstehen, wo wir mit manchem nicht oder kaum zurechtkommen, an Gott zu wenden und all unsere Sorgen auf ihn zu werfen. Auch Jesus hat das getan, in seinem Leben, in seinem Leiden. Möge er uns hier vorangehen. Und so segne Gott uns diesen Gottesdienst.

Gebet

Herr, unser Gott,

wir haben Hunger nach Gerechtigkeit und Durst nach Liebe.

Wir können uns nicht selber geben, was wir zum Leben brauchen.

Deshalb bitten wir dich um deinen Geist, der uns leitet, damit wir gerecht und barmherzig miteinander umgehen, liebevoll aufeinander hören, nicht vorschnell urteilen und mit einem weiten Herz handeln. Du bist unser Erlöser; lass uns immer wieder um den rechten Glauben ringen und lernen, dir zu vertrauen.

Sei bei uns mit deiner Kraft.

Amen.

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Amen.

Lasst uns miteinander in der Stille um den Segen der Predigt bitten. (Stille)

Der Herr segne Reden und Hören. Amen.

 

Predigttext (Hiob 19,19-27):

 

Hiob zu seinen Freunden:

Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach, dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach, dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

 

Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.

 

Als ich diesen Text für den Gottesdienst heute vorzubereiten begann, da ging mir als erstes durch den Kopf:

Ich kann doch das, was Hiob alles erlebt hat, worüber er hier klagt, gar nicht nachvollziehen! Gott sei Dank nicht nachvollziehen! Sein ganzer Reichtum, sein Besitz, sein Auskommen wurde Hiob genommen! Aber damit nicht genug, auch seine Familie starb, seine Kinder wurden alle dahingerafft. Und er selbst wurde schwer krank. Seine Frau hatte nur noch den Rat für ihn: Lass doch Deinen Glauben an Gott dahinfahren! Was hat er Dir denn gebracht! Seine Freunde suchten die Schuld für all das, was Hiob hier widerfahren war, bei ihm: Geh doch in Dich! Sicher hast Du Dir etwas zuschulden kommen lassen, womit Du dieses große Leid verdient hast!

Nein, so schlecht geht es mir wahrhaftig nicht! Das ist nicht meine Lebenswelt.

Vielleicht können andere das nachempfinden. Menschen, deren Leben auch so existenziell bedroht ist.

Mir kommen Bilder von Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlingen vor Augen.

Ich erinnere mich an geschichtliche Ereignisse – Menschen, die die Verfolgung in Kambodscha durch die Roten Khmer erlebt haben, Menschen, die die Bombennächte in Dresden, Coventry, Hamburg, in Saigon, in Tschetschenien oder anderswo erlebt haben, die in den Schützengräben dieser Welt lagen. Menschen, die in den Konzentrationslagern gelitten haben.

Und vielleicht ist es auch legitim, an die Menschen zu denken, die in der noch gar nicht lange zurückliegenden 1. Corona-Welle die verheerende Lage in Italien oder New York miterlebt haben, oder jetzt in Brasilien. Erst am Donnerstag war in Bergamo eine Gedenkfeier hierzu.

Die vielen Hiobs dieser Welt denen alles zerbricht. Die können es vielleicht nachempfinden. Aber ich?

Also, weg mit diesem Text? Klappen wir die Bibel zu und beschäftigen uns mit etwas anderem?

Ich habe versucht, mich durch diesen Text „durchzubeißen“. Und ich bin im Wesentlichen an 3 Gedanken hängengeblieben.

„Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde!“ Dieser fast verzweifelte Ruf Hiobs bringt mich zum Nachdenken.

Wie ist das denn mit uns, mit unserer Gesellschaft, wenn wir mit der großen Not anderer konfrontiert werden?

Erbarmen wir uns dann? Fühlen wir mit? Oder treten wir dann erst recht noch mal zu?

Da passiert ein Unfall, Menschen werden verletzt, manche schwer. Und immer wieder diese Berichte: Keine Rettungsgasse, keiner bleibt stehen, um zu helfen. Und die Rettungskräfte werden angegangen und beschimpft. Erst vor wenigen Tagen wurde das wieder berichtet. Die Rettungskräfte sperren ab – und müssen sich einiges anhören, was ihnen denn einfällt, die Straße zu sperren… Oder, noch schlimmer, statt zu helfen, werden die Handys gezückt, möglichst gruselige Bilder gemacht und die dann schnell gepostet. Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Können wir nicht satt werden vom Leid anderer? Wo bleibt die Würde dessen, der schon im wahrsten Sinne des Wortes am Boden liegt? Erbarmen?

Und wenn wir Mitleid, Mitgefühl empfinden – bleibt es beim gruseligen Schauer, der über den Rücken läuft? Oder lässt uns das handeln? Ja, wir sehen dank der umfassenden und weltumspannenden Medienpräsenz viel Leid und Not nah und fern. Und, das ist sicher richtig, wir können nicht als Einzelne die ganze Welt retten. Ich kann nicht überall alle Not lindern. Aber ich kann an einzelnen Stellen etwas tun. Wir können vielleicht gezielt ein oder zwei Projekte unterstützen. Wir können vielleicht für den einen Nachbarn oder die eine Freundin da sein und uns Zeit nehmen. Und wir können auch immer ein Gebet sprechen für jemanden, der in Not ist.

Hier sehe ich auch einen Bezug zum Evangelium: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein!“ Diesen Rat gibt Jesus seinen eifrigen und vielleicht auch etwas geltungssüchtigen Jüngern.

Und noch etwas lässt mich Hiobs Aufschrei „Erbarmt euch über mich“ bedenken: Hüten wir uns davor, wie die Freunde Hiobs vorschnell zu urteilen! Wie schnell sind wir manchmal damit, den Stab über jemanden zu brechen, zu sagen, da ist er ja selbst dran schuld, dass es ihm so geht usw. Seien wir auch hier barmherzig!

Das Zweite, das mir hier – und nicht nur hier, sondern quer durch das ganze Hiobbuch – auffällt:

Ja, Hiob klagt. Und er findet zum Teil drastische Worte, denn das, was er erlebt und erleidet, ist auch ausgesprochen hart.

Aber es ist kein zielloses Gejammere. Er klagt Gott sein Leid. Ja, teilweise fragt sich mancher von uns vielleicht, darf man Gott so klagen? Darf man Gott, so wie Hiob es zeitweise tut, sogar Vorwürfe machen? Nun, Hiob befindet sich hier in guter Gesellschaft! Auch in den Psalmen finden sich immer wieder solche Klagen. König David, aber auch andere Psalmdichter haben Gott ihr Leid, ihre Not vor die Füße geworfen. Und Jesus selbst hat am Kreuz mit den Worten des 22. Psalms geklagt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gott, sieh es dir doch an! Alle verlassen mich. Und wo bist du? Wo spüre ich deine Nähe?

Das ist anders als der Rat von Hiobs Frau. Sie forderte Hiob schon früh auf: Was bringt dir denn dein Glaube an Gott? Lass es doch! Wo ist denn dein Gott?

Wie viele Menschen kommen heute angesichts des Leids in der Welt, angesichts des eigenen Leides zu ähnlichen Schlüssen? Sie wenden sich ab. Fertig. Aus die Maus. Glaube? Gott? Bringt nichts mehr. Anders Hiob. Vorwürfe ja, aber er ringt mit Gott. Er lässt den Kontakt nicht abreißen. In einem „Warum hast du mich verlassen?“ steckt ja auch ein „Ich suche dich! Ich möchte verstehen, Gott. Ich möchte dir wieder näher sein.“

Hiob lädt uns ein, das, was uns belastet, immer wieder auf ihn zu werfen. Wir werden es nachher singen: All eure Sorgen … bringt vor das Kreuz. All eure Fragen, Freuden und Klagen … bringt vor das Kreuz.

Tun wir das! Klagen wir ihm – unsere Sorgen und Ängste angesichts der Pandemie und der wieder steigenden Zahlen! Klagen wir ihm – wo andere uns verletzt haben und wir nicht weiterwissen! Klagen wir ihm – die Not in der Welt, die uns sprach- und hilflos macht, die Menschen, die auf dem Mittelmeer ertrinken und die scheinbar niemanden interessieren, die Menschen, die selbst im eigentlich geschützten Raum unserer Kirchen großes Leid und Missbrauch erfahren haben, die Menschen, deren Streben nach Freiheit mit Gewalt unterdrückt wird!

Und wenn der Glaube schwierig und anstrengend wird, geben wir ihn nicht auf, sondern ringen wir darum! So wie Hiob es getan hat!

Und schließlich:

Hiobs Klage mündet am Ende in diese Erkenntnis: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“

Was Hiob hier erlebt, das finden wir auch in manchen Klagepsalmen. Die Klage verwandelt sich in Vertrauen. Das Ringen mit Gott ist beschwerlich, mühsam, aber es kann Menschen verwandeln. Das „Aber“, das „Trotzdem“ des Glaubens. Ja, im Moment geht es mir alles andere als gut, aber Gott ist da, auch und gerade in diesen schlimmen Zeiten! Für Hiob ist das keine billige Vertröstung. Es hat ihm ja auch nicht jemand von außen als Pflaster draufgeklebt. Es ist auch schwierig, und es hat selten Erfolg, wenn man auch als wohlmeinender Freund einen schnellen Trost, eine schnelle Erklärung zur Hand hat. Hiob selbst spricht davon – er sagt: „Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.“

Man muss diesen Weg des Ringens um Erkenntnis selbst gehen, aber das kann Frucht bringen: Das Vertrauen zu Gott kann wieder wachsen, und damit auch die Hoffnung, dass Gott einen durch die dunklen Zeiten hindurch begleitet und wieder in neue, gute Zeiten führen will und wird.

Wenn in Menschen so eine Erkenntnis wächst, dann kann das auch Kräfte freisetzen. Zum einen einfach die Kraft, die schweren Zeiten durchzustehen, zum anderen auch die Kraft, trotz des eigenen Leides etwas zu gestalten.

Ich bin in Bamberg aufgewachsen. Meine Heimatgemeinde ist die Erlösergemeinde. Der Name der Kirche bezieht sich genau auf dieses Wort aus dem Hiobbuch. Ihre Einweihung am 28.10.1934 durfte der damalige Landesbischof Meiser nicht vornehmen; die nationalsozialistischen Machthaber verboten ihm das; er stand unter Hausarrest. Wer es hören wollte, verstand die Botschaft wohl: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ – Das war ein Affront gegen den braunen Spuk. Mein Erlöser lebt, das ist der Gott der Bibel, das ist Christus, der alleinige Herr der Kirche, und nicht ein selbsternannter Führer-Messias, der alle Macht an sich zu reißen im Begriff ist. Mein Erlöser lebt – das gab den Menschen die Kraft, die Jahre der NS-Tyrannei zu überstehen, auch Widerstand zu leisten. (Übrigens, nachdem die Erlöserkirche am 22.2.1945 einen Bombentreffer bekam und am 4.6.1950 wiedereingeweiht wurde, war Bischof Meiser dieses Mal mit Freude dabei.)

Dieses Wort fragt auch uns: Wer ist mein Erlöser? Wem vertraue ich in den dunklen Zeiten meines Lebens? Oder laufen wir irgendwelchen falschen Heilsbringern nach?

Ich für mein Teil möchte sagen: An meinen Herrn und Gott will ich mich halten. Auf ihn will ich all meine Sorgen werfen. Und von ihm will ich mich dazu rufen lassen, mich meiner Mitmenschen zu erbarmen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Gebet

Beten wir für Menschen, die Barmherzigkeit brauchen.

Beten wir für Menschen, die unbarmherzig geworden sind.

Beten wir für Menschen, die um ihren Glauben ringen.

Beten wir für Menschen, nicht wissen, wer oder was ihnen Halt geben kann.

Amen.

Segen

Der HERR segne Euch und behüte Euch;

der HERR lasse sein Angesicht leuchten über Euch und sei Euch gnädig;

der HERR erhebe sein Angesicht über Euch und gebe Euch Frieden.

Amen.