Gotesdienste im AWO und in St. Johannis am 2. Sonntag nach Epiphanias - 14.01.2017

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Meine Kraft ist in
den Schwachen mächtig"

 

Predigttext: 1. Kor. 2,1-10

Liebe Schwestern und Brüder! 

Kinder lieben Geheimnisse. Sie wissen etwas oder denken sich etwas aus. Und das erzählen sie nicht jedem, nur sehr guten Freunden. Sie flüstern es dem anderen ins Ohr, und der darf es nicht weitersagen, es steht unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Sobald es öffentlich bekannt wird, ist es für die Kinder uninteressant geworden. Auch Paulus schreibt uns heute von einem Geheimnis, nämlich dem Geheimnis Gottes. 

Hört den Predigttext für den 2.SnE. Er steht im 1.Brief des Paulus an die Korinther im 2.Kapitel: 

Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 1Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. 

Soweit die Worte des Paulus zum Geheimnis des Evangeliums. 

Liebe Gemeinde, 

für mich ist das einer der persönlichsten Texte, die uns Paulus geschenkt hat. Und zugleich einer, der uns ins Zentrum unseres Glaubens führt, ins Zentrum, das er als „Geheimnis“ bezeichnet. Mit diesem Geheimnis ist es etwas anders als mit den Geheimnissen der Kinder. Denn das Geheimnis Gottes ist öffentlich bekannt, aber es entzieht sich gleichzeitig dem menschlichen Verstand und Erkennen. Und doch ist es für den, der es kennt oder erahnt, von äußerster Wichtigkeit, noch wichtiger als das Geheimnis der Kinder für das Kind. 

Um die Gedanken des Paulus zu erfassen, habe ich mir fünf Fragen überlegt, die ich unserem Bibelwort und damit Paulus stellen möchte: 

1) Was ist denn das Geheimnis Gottes? 

Paulus schreibt: Das Geheimnis ist Jesus Christus, der Gekreuzigte. Das Geheimnis Gottes lautet: In diesem Menschen Jesus von Nazareth bin ich selbst zu Euch gekommen. In ihm habe ich Euch meine Liebe gebracht, in ihm habe ich Euch gezeigt, wie ein Leben aussieht, das ganz aus mir lebt und in mich mündet, ein Leben, das zum Segen für andere wird. Dieses Geheimnis haben die Herrscher dieser Welt nicht erkannt, die Mächtigen wie die Tempelpriester, Herodes und Pilatus, die herrschenden Mächte Geld, Einfluß, Egoismus. Hätten sie es erkannt, hätten sie ihn nicht getötet, weiß der Apostel (V8). Und doch gerade durch seinen Tod erlangt das Geheimnis eine neue Tiefe: Er starb für uns, um Schuld und Tod zu überwinden. Deswegen bezeichnet Paulus nicht einfach nur „Jesus Christus“ als das Geheimnis Gottes, sondern setzt hinzu: „der Gekreuzigte“. 

Jesus, der Wasser zu Wein verwandelt, der Gutes tut – ja, das macht es einfach hier die Herrlichkeit Gottes zu erkennen. Epiphanias, Zeit der Erscheinung der Herrlichkeit Gottes. Da lässt sie sich festmachen. Aber Jesus am Kreuz? Wer dort hängt, der ist nach menschlichem Ermessen gescheitert. Gott in Jesus - Weihnachten, Gott im Tod – Karfreitag: auf formaler Ebene einfache Aussagen, und doch schwer zu begreifen: dass Gott Mensch wird, dass Gott ans Kreuz geht und für uns stirbt. Wir sind dieses Denken seit Kindertagen gewöhnt, es ist Teil unseres Weltverständnisses, nur die Wenigsten denken darüber kritisch nach. Aber Menschen, die aus anderen Kulturkreisen und mit anderen religiösen Prägungen auf dieses Zentrum des christlichen Glaubens stoßen, die schütteln bisweilen den Kopf. Gerade ein Moslem, der Gott als den großen Allherrscher kennt, den Unerreichbaren, der weit weg ist, der sieht in solchem Denken eine Beleidigung Gottes: Gott am Kreuz, was wäre das für eine Schande, Gotteslästerung! Und auch damals ging es den meisten Zeitgenossen des Paulus nicht anders, denn das Christentum war ja erst ein kleines Pflänzchen, das Paulus und andere umhegt und gepflegt haben, damit es wächst und Kraft gewinnt. 

Gott als Mensch, Gott am Kreuz: Solche Gedanken haben die meisten Juden und Heiden damals als „Torheit“ bezeichnet. Und auch heute gelten die, die ihr Leben Christus unterstellen, oft als „Toren“. Das sehen wir auch an der zunehmenden Bedeutungslosigkeit von Glaube (und Kirche). In unserer Gesellschaft muss man etwas darstellen, sich gut verkaufen, da gilt die Verpackung oft mehr als der Inhalt. Und so mancher sagt: Der Glaube ist doch nicht vernünftig! Bei Kritikern aus der westlich-aufgeklärten Welt steht dahinter oft, dass sie nur das für wahr halten, was sie sehen. Im Gegensatz dazu hält selbst die moderne Wissenschaft mehr Dinge zwischen Himmel und Erde für möglich, als wir uns nur auszudenken vermögen. Und doch hört man ab und an: Glauben – das ist etwas für die Dummen; für die, die mit ihrem Leben allein nicht zurechtkommen; für die Alten, die sonst niemanden haben!, 

2) Darum stelle ich Paulus meine zweite Frage: Paulus, sind wir Christen wirklich Toren? Oder andersherum: Wer gilt eigentlich als weise? 

Der, der das Sonnensystem durchschaut und weiß, welcher Planet hinter dem hintersten Planeten kommt? Oder der, der in die Tiefe des menschlichen Körpers schaun kann, unsere Gene sieht und sie so verändern kann, das Krankheiten geheilt werden? Und der, der viel Lebenserfahrung hat, und anderen Tipps gibt und ihnen eine Hilfe ist? Oder der, der weiß, wie man Macht ausübt, andere beeinflusst, und seine eigenen Interessen durchsetzt? Oder der, der Vorgänge unserer Welt gut beobachten kann, und die Ergebnisse in ein wissenschaftliches System fasst? Oder der, ein Gespür für Menschen und Situationen hat, sie richtig einschätzen kann, und dann ihnen das gibt, was sie in diesem Moment brauchen?
Ja, sie alle sind auf ihre Art und Weise weise. Und doch gibt es noch eine Weisheit, die größer und tiefer ist als all diese menschlichen Weisheiten. Und das ist die Weisheit Gottes. 

Von der schreibt Paulus: Wovon wir reden ist „nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit. Es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«. 

Das ist das vollkommen Neue: Gott als Mensch, Gott als Gekreuzigter und Auferstandener. Der, der nach menschlichem Ermessen scheinbar gescheitert ist, der, dessen Botschaft aber 2000 Jahre überdauert und die Welt verändert hat, der, der solidarisch mit den Schwachen dieser Welt ist, der, vor dem ich keine Show abziehen muss, den, der mir zeigt, dass Scheitern und Schwachheit nicht per se sinnlos sein müssen, dass manchmal daraus etwas erwächst. Paulus stellt uns den vor Augen, der Orientierung, Kraft und 

Trost gibt, den, der Schuld mit sich nimmt und auch durch den Tod tragen kann. „Zu unserer Herrlichkeit“ – das ist das, worauf das Geheimnis Gottes zielt. Damit wir gut und wohlbehalten leben können und auch einmal nach unserem Tod Zukunft haben. 

Wir sind keine Toren. Wir sind vielmehr diejenigen, die das Geheimnis Gottes erfasst haben. Wir müssen nicht die Klügsten und Reichsten und Besten nach den Maßstäben der Welt sein, denn im Leben und auch einmal im Sterben ist es etwas anderes, was trägt. Nämlich die Beziehung zu Gott! Paulus sagt das so: „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen, als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten!“ Ein Geheimnis, das offen vor allen liegt, dass aber viele für sich nicht realisieren, weil sie Weisheit nur menschlich und nicht göttlich definieren, weil sie nicht tief genug blicken. Deshalb meine dritte Frage an Paulus: 

3) Woran liegt es, ob ein Mensch das Geheimnis Gottes durchdringt? 

Paulus antwortet: „Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ 

Der Geist Gottes ist es, der Menschen aufschließt, durch den Menschen begreifen, dass in dem Menschen Jesus, in dem Leidenden und Sterbenden uns Gott selbst begegnet. Wir erinnern uns an Luthers Auslegung zum 3.Glaubensartikel: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Kraft an Jesus Christus meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten“. Glaube, Erfassen des göttlichen Geheimnisses ist ein Geschenk. Aber ich muss diesem Geist auch die Chance geben, in meinem Leben zu wirken, mich für ihn öffnen. Manch einer kann mit seinem Verstand dieses Geheimnis nachvollziehen, aber es erschließt sich erst wirklich, wenn wir mit dem Herzen sehen, wenn wir die Erfahrung mit Christus, dem Gekreuzigten, machen und spüren, wie er uns guttut und Frieden schenkt. 

Voraussetzung, dass der Heilige Geist wirken kann, ist aber auch, dass ein Mensch das offene Geheimnis zumindest einmal kennenlernt. Daher meine 4.Frage: 

4) Wie habe ich die Chance, das Geheimnis kennenzulernen? 

Ganz einfach: Gott sendet seine Boten, um seine Weisheit zu den Menschen zu bringen. Seine Boten, das sind die Pfarrer und die Religionslehrer in der Schule und im Konfirmandenunterricht und an den Berührungspunkten des Lebens mit der Kirche, das sind Mitarbeitende der Kirche in unterschiedlichen Berufsgruppen, das sind Ehrenamtliche, die sich in vielen Bereichen engagieren, das sind Väter und Mütter, Großeltern und Paten. 

Durch Menschen kommt Gott zu Menschen, Menschen werden seine Boten. Und jeder kann heute Nachmittag einmal überlegen, wer denn mir den Glauben nahegebracht hat. 

Es ist ja auch so, dass bei vielen die Erfahrung mit der Kirche und mit dem Glauben mit Personen oder einem besonderen Erlebnis abhängig ist: Ein guter Pfarrer hat einen für ein Leben lang geprägt, aber auch das andere: Durch einen schlechten Pfarrer hat man sich von der Kirche entfernt. Erst letzte Woche hat mir eine Frau erzählt, dass sich in ihrem Heimatort die Frauen der beiden Pfarrer immer gestritten haben, und das fand sie unglaubwürdig, und deshalb stand sie ihr Leben lang der Kirche nie so nahe. Mich macht das traurig – nicht allein, dass sich zwei Pfarrersfrauen streiten, sondern dass jemand die Beziehung zu Gott und der Kirche von einem Menschen abhängig macht. Ist Gott, Glaube, Kirche nicht viel mehr?? 

Paulus war auch nicht perfekt. Er beschreibt seine Tätigkeit so: Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 

Paulus hat sich schwach gefühlt: Furcht und großes Zittern hatte er. Weil er vielleicht philosophisch nicht so gebildet wie andere ist, und weil er nicht versucht, wie andere Missionare Menschen zum Glauben überreden – mit tollen Worten. Und gesundheitlich war er angeschlagen. 

Manchmal habe ich den Eindruck, dass etliche extra hohe Erwartungen an Mitarbeitende der Kirche stellen, um dann einen Grund zu haben, sich mit vermeintlich gutem Gewissen abzukehren. So einfach aber lässt Gott uns nicht raus. Denn nicht der Pfarrer oder jemand anders, sondern er selbst ist es, der uns zu sich ruft und der uns in die Gemeinschaft der Christen, in die Kirche ruft. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, von denen jeder Stärken und Schwächen hat. Und die Kirche ist vielmehr, etwas viel Größeres: Das sind all die, die mit ihrem Gott verbunden sind. Wer sich auf unglaubwürdige Vorbilder beruft, und deshalb Gott und der Kirche den Rücken kehrt, der hat das Geheimnis des Glaubens nicht durchdrungen. Auch Paulus will keinen Glauben, der an seiner Person hängt oder an seinen Fähigkeiten. Der Heilige Geist führt Menschen zum Glauben – und damit baut der Glaube nicht auf menschlicher Weisheit, sondern auf Gottes Kraft. 

Gott gibt sein Geheimnis weiter, teilt es mit, durch seine Boten, auch wenn sie manches mal so unvollkommen sind wie Paulus. Aber wer ist schon vollkommen, wenn nicht Gott alleine? 

Eine letzte Frage stelle ich noch, und zwar diesmal nicht Paulus, sondern jedem von uns: 

5) Bin ich nicht auch so ein Bote? 

Weil ich haupt-, neben- oder ehrenamtlich im Dienst der Kirche stehe? Weil ich als Vater und Mutter, als Oma oder Opa, als Pate die Verantwortung für einen Menschen habe, dem ich die Kraft des Glaubens, das Geheimnis Gottes unbedingt weitergeben will? Jesus hat seine Jünger einmal gesendet: Gehet hin! Sagen doch auch wir sein Geheimnis weiter. 

Die Erfahrung kennt wahrscheinlich jeder, der versucht, andere zum Glauben einzuladen. Man fühlt sich schwach: Werde ich die richtigen Worte finden? Und man hat Angst: Was ist, wenn der andere nur lästert und mich ablehnt? Mitten in seinen Ängsten konzentriert sich Paulus auf eines: auf Jesus Christus, den Gekreuzigten: 

Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 

Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. 

Von ihm erzählt er, und vom Heil, das Gott durch ihn schenkt. Und dann macht er die Erfahrung: Trotz seiner Ängste erreicht die Botschaft das Herz von Menschen. Weil Gottes Geist die Herzen der Menschen aufgeschlossen hat. Und auch wir, wenn wir vom Glauben erzählen, machen ab und zu die Erfahrung: Da wirkt das Wort aus sich selbst heraus. Gott lässt es ankommen beim anderen. 

Als diejenigen, die Gottes Wort weitergeben, müssen wir keine besonders gute Performance liefern, sondern treu unseren Dienst tun. Das entlastet auch, denn ich kann ehrlich sein. Und, ohne dass es uns zum Nichtstun, zur Faulheit oder Bequemlichkeit ermuntern will, können wir darauf vertrauen, dass Gottes Geist etwas von dem wachsen und aufgehen lässt, was wir gesät haben.An Paulus finde ich sympathisch, dass er sich seine Schwäche eingesteht. Er sagt, was er nicht kann und wo er Angst hat. Das machen Menschen leider viel zu selten. Aber erst, wenn ich mir das eingestehe, dann werde ich offen für Gott: dann lege ich ihm nämlich meine Schwächen hin und sage: Herr, ich kann das nicht. Hilf mir doch! Lass es gelingen! 

Paulus hat das getan, und Gott hat ihm geholfen und seine Predigt ankommen lassen. 

Da ist Paulus mir und hoffentlich uns allen ein Vorbild: Ganz auf Gott zu vertrauen, ihm meine Schwächen und Ängste zu übergeben. Und er wird durch die Kraft des Heiligen Geistes wirken. 

Gott selbst sagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2.Kor. 12,9) 

Amen.

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