Heiliger Abend: Christmette

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Friede auf Erden..."?!

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Hört sie wieder neu, die altvertraute Geschichte von der Heiligen Nacht, wie sie uns Lukas im 2.Kapitel seines Evangeliums überliefert. 

1. Teil: V 1-7

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 

2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 

3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. 

4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, 

5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 

6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 

7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. 

Die Weihnachtsgeschichte beginnt wenig weihnachtlich. Ein Census, eine Volkszählung findet in Judäa statt. Diese Volkszählung war der Beginn einer neuen Steuereintreibung für den römischen Kaiser. Alle werden registriert, damit keiner dem Fiskus entgeht, selbst die Armen werden nicht verschont. Lukas berichtet an anderer Stelle (Apg 5,37), dass es im Zuge dieser Volkszählung zu Aufständen und Rebellionen kam. Die Volkszählung sorgt für Unruhe, turbulente Zeiten im Heiligen Land. „Diese Schätzung war die allererste und geschah, als Quirinius Statthalter in Syrien war.“: Palästina gehörte damals wie noch viele weitere Jahrhunderte lang zu Syrien. Syrien – auch da geht’s gerade drunter und drüber, vielleicht noch viel schlimmer als damals um das Jahr 0. Jesus wurde in eine zerrissene Welt hineingeboren, nicht weniger zerrissen als unsere Welt heute.

Die Willkür der Herrschenden, religiöser Fanatismus, wirtschaftliche Interessen, persönliche Machtallüren – all das gepaart hatte immer schon schlimme Folgen. Was würden wir tun, wenn unser Haus zerbombt ist, und wir für uns und die Kinder keine Zukunft mehr sehen? Viele Menschen auf der Flucht, nicht anders als das Jesuskind damals, das kurz nach seiner Geburt vor dem König Herodes nach Ägypten fliehen musste – weil der alle neugeborenen Kinder töten ließ. Hundertausende, Millionen suchen ein sicheres Dach über dem Kopf, nicht anders als Joseph mit seiner schwangeren Maria.

Die beiden werden in allen Bethlehemer Herbergen abgewiesen. Auch heute heißt es immer wieder: Wir sind voll, wir haben keinen Platz. Lange könnte man darüber diskutieren, aber: Die Geflüchteten sind nunmal da! Und so nimmt sich auch der schwangeren Maria jemand an, der nicht wegsehen kann von der Not. Er hat kein Hotel, nur einen Stall. Aber den gibt er gerne, damit sie ein Dach über dem Kopf haben. Wie diesen Stallbesitzer, dessen Name nicht überliefert wurde, gibt es viele: Menschen, die nicht groß Redens von sich machen, die aber da helfen, wo Hilfe nötig ist, mit ihren bescheidenen Mitteln.

„Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe!“. Das klingt so sachlich. Dabei ist das doch höchst emotional, so eine Geburt. Besonders beim ersten Kind. Wir selber haben dieses Jahr auch unseren Sohn bekommen. Es ist ein Wunder: Aus dem Bauch der Mutter kommt ein kleines Bündel Mensch, das alles hat, was man braucht. Die Organe funktionieren, neues Leben ist entstanden. Ich kann die Freude von Maria und Joseph über ihr erstes Kind richtig nachvollziehen.

Obwohl ja einiges bei dieser Schwangerschaft ungewöhnlich war: Denn Gott selbst hat dieses Kind gewollt und in Maria durch seinen Geist werden lassen. Zwar ist jedes Kind ein Geschenk Gottes. Und doch ist bei diesem Kind etwas anders: In dieses Kind hat er sich selbst hineingegeben, und mit diesem Kind in diese Welt, in die Armut eines Stalls bei Bethlehem und nicht in einen Palast - dahinein, wo für so viele Menschen das wirkliche Leben spielt. Gott wird Mensch, er kommt zu uns. Mit dem Jesuskind hat Gott ein Plan und ein Ziel.

Und so ist diese Geburt eine ganz besondere Geburt, und so wird diese Nacht zur Heiligen Nacht.

2.    Teil: V 8-16

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 

9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 

10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 

11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 

12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 

13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 

14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. 

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 

16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.

Friede auf Erden – das kündigt der Engel an. Friede auf Erden – so ist auch unser Gottesdienst auf dem Liedblatt überschrieben. Danach sehnt sich die Menschheit, damals nicht anders als heute. Friede im Großen und Friede im ganz Kleinen, im eigenen Leben. Friede auf Erden – hinter diesen Satz müssen wir aber ein großes Fragezeichen setzen, wenn wir in unsere Welt blicken. Ich erinnere an den Zeitungsleser von vorhin und all das, was er zu berichten wusste. Friede auf Erden?

Wem kündigt der Engel das eigentlich an?

Er erscheint den Hirten: denen, die am Rande der Gesellschaft stehen und denen nichts geschenkt wird. Denen, die Frieden und Gerechtigkeit nötig haben. Und der Engel kündigt ihnen an, wem alles dieser Friede gilt: Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Die freudige Botschaft vom Frieden, sie gilt also dem ganzen Erdkreis.

Und wer soll diesen Frieden bringen?

Auch das sagt der Engel: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“. Gleich drei ehrenvolle Titel gibt er dem Friedensbringer, der doch erst ein kleines Baby ist. Dieses Jesuskind, dieser Jesus ist der, der Heil schaffen wird.

Doch die entscheidende Frage ist: Wie kann er denn Frieden schaffen?

Darüber schreibt Lukas in der Weihnachtsgeschichte nichts. Aber sein ganzes restliches Evangelium ist voll davon: voll von Erzählungen darüber, wie Jesus als junger Mann den Menschen Frieden bringt: Jesus hat Menschen in ihrer Not gesehen. Er hat Kranke geheilt, Zweifelnden Orientierung gegeben. Er hat die Mühseligen und Beladenen gestärkt. Er hat vom Frieden gepredigt und Gewalt radikal abgelehnt. Er hat vom Willen Gottes gesprochen und dafür geworben, von den verkehrten Wegen umzukehren. Er ist auf alle Menschen ohne Vorurteile zugegangen und hat so Ausgegrenzte integriert.

Durch Jesus haben so viele Menschen Frieden gefunden: Frieden mit sich selbst, Frieden mit anderen und Frieden mit Gott.

Gerade das Letzte war Jesus besonders wichtig: Friede in unserer Beziehung zu Gott. Getrennt sind wir von dem, der uns das Leben gab, durch all das Negative, was wir immer wieder denken, sagen und tun. Aber gerade auch da hat Jesus Frieden geschafft, am Kreuz. Sein Kreuz zeigt uns die große Liebe Gottes und ist ein Zeichen der Vergebung unserer Schuld und des Neuanfangs. Doch dazu mehr in meiner Predigt am Karfreitag. Und an Ostern werde ich darüber predigen, dass uns Jesus auch angesichts des Todes Frieden bringt, und uns Hoffnung auf ein Danach bei Gott schenkt. Weihnachten ist der Anfang, Karfreitag und Ostern folgen. Alles Feste, an denen der Friede, der uns Weihnachten angekündigt wird, Stück für Stück Gestalt gewinnt und wächst. Und dann Pfingsten: Gottes Geist ist ausgegossen in unsere Welt. Was Jesus in Galiläa den Menschen Gutes getan hat, das tut der Geist seit Pfingsten auf dem ganzen Erdkreis.

Jesus ist der Friedensbringer. Sein Geist wirkt auch heute ganz direkt, in dem er Dinge bewegt. Er wirkt  in Menschen, in denen er etwas bewegt. Und er wirkt durch Menschen, die für andere zum Friedensbringer werden.

Freilich müssen wir auch erkennen: Nicht überall und immer schenkt Gott Frieden. Unsere Welt ist noch nicht vollendet. Auch damals hat er nicht alle Kranken geheilt und nicht alle Erwartung erfüllt: Er hat nicht die Römer vertrieben, wollte kein politischer König sein – und hat doch die politischen Werte verändert.

Es stimmt, was vorhin einer der beiden Akteure gesagt hat: In der Zeitung steht viel Dunkles, viel Unfrieden drin. Aber gleichzeitig  entdecke ich auch viel Gelungenes, Gutes, Spuren des Lichts und des Segens. Unscheinbar scheint Gottes Reich hier und dort auf. Wir müssen es nur wahrnehmen, die Friedensspuren zu lesen lernen.

Auch folgendes kann ich in der Zeitung lesen:

-       Neustädter Gymnasiasten beschenken Flüchtlingskinder – auf Grund einer Initiative eines zehnjährigen Schülers.

-       Trotz aller Kritik und obwohl weitergehende Maßnahmen hätten beschlossen werden können, haben sich die Länder bei der Weltklimakonferenz in Paris auf ein Ziel zur Reduzierung der schädlichen Einflüsse auf die Umwelt geeinigt.

-       Firmen übernehmen soziale Verantwortung und spenden für Bedürftige.

-       Brot für die Welt konnte im letzten Jahr wieder unzähligen Menschen helfen.

Die Zeitungen könnten noch viel mehr Positives berichten, aber leider verkaufen sich negative Schlagzeilen besser. Jeden Tag könnte man eine eigene Zeitung mit Gutem vollschreiben. Viel Gutes kommt gar nicht raus, weil es im Verborgenen geschieht. Ich habe ein paar Überschriften für so eine weihnachtliche Friedenszeitung entworfen, die davon berichtet, wie Gott wirkt und wo Spuren des Segens sind:

Friedenszeitung

-       Frau L. hat sich mit ihrer Tochter wieder versöhnt. Beide haben gelernt, Geduld miteinander zu haben und sich nicht mit aller Gewalt durchsetzen zu wollen.

-       Herr O., der in diesem Jahr seine Frau verloren hat, war am Ewigkeitssonntag im Gottesdienst, und ihm hat die Atmosphäre so gut getan, dass er neuen Lebensmut bekommen hat.

-       Abendspaziergang am 1.Advent auf die Lauterburg – die in Oberwohlsbach lebenden syrischen Familien sind dabei und backen für alle Köstlichkeiten aus ihrem Land.

-       zwei syrische Frauen kommen in die Strickgruppe in unser Gemeindezentrum und finden so Anschluss

-       M, ungefähr vier Jahre alt, sitzt im Familiengottesdienst neben mir, singt voller Inbrunst die Weihnachtslieder mit und bestaunt die Malereien in unserer Kirche.

-       Frau S., die meistens nur alleine zu Hause sitzt, hat unser Cafe im Gemeindezentrum entdeckt. Seitdem kommt sie zweimal die Woche, weil ihr es gut tut, mit anderen Menschen zusammen zu sein.

-       T., ein sieben Jahre altes Mädchen hat einer alten Dame die Einkaufstasche mit nach Hause getragen.

aufnehmen, in sich festhalten. Und sie im Herzen bewegen heißt: das eigene Leben mit dem Gehörten zusammenbringen. So entsteht ein Prozess, in dem die Frohe Botschaft in mein Leben hinein zu sprechen beginnt.

All das sind Geschichten, in denen ich Gottes Licht mitten unter uns aufscheinen sehe. All das sind Geschichten vom Weihnachtsfrieden in unserem Leben. Jeder von uns kann mit eigenen Beispielen für sich diese weihnachtliche Friedenszeitung weiterschreiben.

Das Licht, das der Prophet Jesaja in das Dunkel der Welt hinein angekündigt hat, ist in Jesus Christus gekommen. Eines der Geheimnisse von Weihnachten besteht darin, dass wir auf unserer Suche nach dem Großen und Außerordentlichen auf das Unscheinbare und Kleine hingewiesen werden. Der Friede ist manchmal näher, als wir denken. Weihnachten lädt ein, auch das Licht im eigenen Leben zu entdecken, und das eigene Dunkel von der Krippe bescheinen zu lassen.

Gott und Welt sind keine getrennten Sphären, beide kamen an Weihnachten zusammen, und sind es bis heute. Friede auf Erden – ja, manchmal muss man ein großes Fragezeichen hinter den Satz des Engels machen. Oft aber auch ein Ausrufezeichen: Denn immer wieder lässt uns Gott seinen Frieden erleben.

3.    Teil: V 17 – 20

17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 

18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. 

19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 

20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 

Was passiert direkt nach Weihnachten? Nachdem sich alle an der Krippe versammelt hatten? Nachdem die Hirten sich wieder auf den Rückweg machen mussten zu ihrem Arbeitsplatz aufs kalte Feld? Lukas schweigt darüber nicht, sondern erzählt uns dreierlei:

Erstens: Maria aber behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.

Die Weihnachtsbotschaft und die Weihnachtsfreude in uns behalten – das will ich auch. Nicht, dass übermorgen schon wieder alles vorbei ist. Die Weihnachtsbotschaft im Herzen behalten heißt für uns: ihr Raum geben, sie Auch über die Hirten berichtet Lukas: Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 

Die Hirten sagen das weiter, was sie da erlebt haben. Sie können nicht anders. Das, womit ihr Herz gefüllt ist, das muss raus. Nicht anders bei uns, wenn wir etwas ganz Tolles erleben. Das wollen wir auch weitergeben. Ist das nicht genauso im Glauben? Wer etwas ganz Tolles mit seinem Gott erlebt, der möchte auch, dass andere daran teilhaben, dass andere ähnliches erleben dürfen. Manche aber bremsen sich da und sagen: Mein Glaube ist doch ganz privat, und wer weiß, was die anderen denken, wenn ich im Gespräch damit anfange. Hätten die Hirten genauso gedacht, wüssten wir vielleicht jetzt nichts von Weihnachten, hätten die ersten Christen so gedacht, hätte sich der Glaube nie ausgebreitet. Dabei kann es doch ganz einfach sein: Im Gespräch ein bewusstes Gott sei Dank, ein Tischgebet in der Familie, den Kindern und Enkeln aus der Kindebibel vorlesen, im Gespräch unter vier Augen dem anderen in seinen Sorgen das sagen, was uns selbst Kraft gab, oder zu sagen: Ich gehe gern in die Gemeinde und in den Gottesdienst, und fühle mich dort wohl. Zu Weihnachten gehört, die Frohe Botschaft zu teilen.

Und noch ein Drittes gehört zu Weihnachten. Lukas erzählt: Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.

Gott loben für das Wunder der Heiligen Nacht – darüber will ich nicht reden, das wollen wir tun. Stimmen wir ein in das Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“. Loben und preisen wir unseren Gott für sein Kommen: Christus, der Friedensbringer, der Retter ist da! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser menschliches Begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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