Gottesdienst zum 4. Advent am 20. Dezember 2015 in St. Johannis

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Leben im Ungewissen"

Advent – Leben im Ungewissen

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt.  

Liebe Gemeine, letzte Woche habe ich eine Szene in einem im Kaufhaus  beobachtet. „Ganz bestimmt?“ fragt der kleine Junge. „Kommt das Christkind denn ganz bestimmt und bringt mir das dann Weihnachten?“ Eigentlich will er das Ritterburgpaket nicht mehr aus der Hand geben und eigentlich auch sofort gleich auspacken. Die Sache mit dem Christkind scheint ihm nicht so ganz geheuer. Der Vater nutzt – ein bisschen gemein – die Gunst der Stunde: „Ich hoffe ja schon, dass das Christkind dann zu uns kommt und Geschenke bringt. Aber wer weiß? Genau wissen kann man das nicht. Es kommt natürlich drauf an, ob du noch lieb bist bis Weihnachten.“ Ist schon ein bisschen gemein. Und ich wage mal zu bezweifeln, dass das eine sinnvolle Erziehungsmethode ist. Etwas Verzweifelt ist jedenfalls die  Unsicherheit im Blick des kleinen Jungen. „Aber Papa, bestimmt?“ Wie oft diese Frage wohl in der Adventszeit von Kindern gestellt wird? Kommt das Christkind denn auch wirklich? Ganz bestimmt?

Mir ist die Szene bei der Lesung Sonntagsevangelium in den Sinn gekommen. Wir haben es gerade gehört (Matth. 11, 2-6)  

Da schickt Johannes der Täufer seine Mitarbeiter aus. Ja, er hat von den Werken Christi gehört, aber lieber mal auf Nummer sicher gehen. Fragt doch mal nach: Bist du Jesus es wirklich, ganz bestimmt der Retter der Welt, der Messias?

Ganz bestimmt? Oder sollen wir doch lieber auf einen anderen warten? Wer weiß? Was Genaues weiß man ja nicht. Glauben, bestimmt glauben, so ganz ohne Beweise. Lieber mal nachfragen , lieber auf Nummer sicher gehen.

Gern würde er wohl direkt zu Jesus gehen und anschauen und anfassen und die Wunder selbst sehen mit den eigenen Augen. Gib mir doch die Gewissheit. (So, wie es viel später auch Thomas einfordern würde, der Jesus als den Auferstandenen berühren will, damit er sich sicher sein kann.)

Doch Johannes kommt gar nicht nah genug an Jesus heran, eingesperrt im Gefängnis, gefangen von der Ungewissheit.

Schon eine blöde Situation.

Ihr Lieben,

der Wunsch nach Gewissheit, der ist also alt. Sogar zur Zeit Jesu, als man noch mit Wundern rechnete, da wollte Johannes Sicherheiten.

Heute rechnen wir ja eigentlich nicht l mehr mit Wundern. Und umso stärker kämpfen wir darum gegen alle Ungewissheiten an. Überall stützen und stürzen wir uns auf Daten, Zahlen, Fakten. Statistiken. Statistiken darüber, wie dumm oder klug sich unsere Kinder und Jugendlichen in den Pisatests angestellt haben. Studien prognostizieren, wie stark unser Wirtschaftsstandort sich entwickelt und welcher Bodymaßindex ein erhöhtes Risiko für den Herzinfarkt darstellt. Keine Tageszeitung mit nicht mindestens einer Tabelle und Prozentzahlen. Klare Botschaften sind das. Die Zahlen lassen nicht mit sich verhandeln. Scheinbar glasklar liegen sie vor uns und erlauben uns Urteile. Darüber, ob etwas gut oder schlecht läuft in der Gesellschaft.

Es soll ja Politiker geben, die bevor sie Entscheidungen treffen erst mal die Volkmeinung per Volksbefragung einholen.

Ja, Gewissheit, Sicherheit …. Ich kann mit Bestimmtheit sagen…. Das wäre uns schon recht.

 Wer hätte nicht seine Mitarbeiter zu diesem Jesus geschickt, nachschauen und nachfragen lassen: Ist es wahr? Bist du das denn wirklich? Ganz bestimmt? Gib mir doch die Gewissheit. Und was sagen die Leute, mehrheitlich?

Während Johannes sich noch gewiss werden wollte, glaubten die Menschen in der Korinther Gemeinde – einige Jahre später – es schon zu sein:

Wessen Speiseregeln richtig sind und welche falsch, wer gottgefällig lebt und wer nicht. Ein Christ verhält sich in einer ganz bestimmten Weise, folgt ganz bestimmten Regeln…..Da war man sich sicher. Vielleicht zu sicher. Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, aus dessen 4. Kapitel unser Predigttext heute stammt, da kritisiert Paulus diese Gewissheiten – und fordert: mehr Ungewissheit bis Gott zurückkommt. Na da können wir mal gespannt sein.

 Ich lese den Predigttext aus 1. Kor.4, 1-5

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteilwerden.“

Richtet nicht vor der Zeit. Seid euch doch nicht zu gewiss in euren Urteilen darüber, was richtig und falsch ist, wer gut oder böse ist.

Was die Welt und jeden einzelnen von uns ausmacht, das kann allein Gott zu uns sagen, wenn er kommt. Dann, erst dann werden wir Gewissheit erlangen, nicht schon im Hier und Jetzt.

Bis dahin müsst ihr euch gedulden. Christen müssen mit Ungewissheiten leben, bis Gott kommt. Das ist die Botschaft des Apostels. Unsere Zeit ist die Zeit des Noch-Ungewissen, des Vorletzten. Weil wir glauben, dass Gott letzte Urteile spricht, darum stehen genau diese Urteile uns Menschen im Hier und Jetzt nicht an. Statt uns als Richter, Beurteiler aufzuspielen, die dann auch schon mal von der Kanzel herunter oder als Hauskreismitglieder Urteile fällen, sollen wir Christinnen und Christen nichts anderes sein als „Haushalter“ über Gottes Geheimnisse. Haushalter darüber,  darüber, was erst mit Gottes Kommen in diese Welt gelüftet wird. "Ich weiß mit Gewissheit, dass es zu viel Gewissheit in der Welt gibt." hat der Schriftsteller Michael Crichton mal gesagt und Paulus würde diesen Satz wohl doppelt unterstreichen. Seid mal nicht so sicher!

Bis dahin sollen wir Gott die Treue halten. Eben als seine Haushalter und nicht als Richter über die Erfüllung Gottes Willen, so wie wir es verstehen.  In anstrengenden Momenten treu zu bleiben, ist nicht leicht. Treue zu Gott, das heißt Treu-Sein, auch wenn wir keine klaren Beweise haben, wann und wie Gott in diese Welt kommt. Auch wenn wir noch nicht genau wissen, was Gott zu dieser Welt, zu jedem einzelnen von uns sagen wird. Gott treu zu sein bedeutet, eben die Ungewissheit auszuhalten und sogar noch mehr: in der Welt dafür einzustehen.

Einfach ist das nicht. In Treue zu Gott steh’n. Glauben wider alle Vernunft. Hoffen wider allem Augenschein. Festhalten an Gott, Vertrauen auf Ihn setzen, auch wenn scheinbar alle Fakten, Daten dagegen stehen.

„Glaubst du das wirklich, mit Jesus und ’nem Himmel und so?“ Wie kann es Gott geben, angesichts von unermesslichem Leid? Wie gerne hätte ich Beweise, Fakten, wie gerne würde ich meinen Gesprächspartnern niederdiskutieren. Beweissicher belegen…. Und kann es nicht.

Der Dichter Kurt Marti hat diese Gedanken in treffende Worte gefasst:

glücklich, ihr atheisten!

ihr habt es leichter

euch wirbelt kein gott

aus der bahn des schlüssigen denkens

kein glaube wirft schatten

auf eure taghelle logik

nie stolpert ihr

über bizarre widersprüche

kein jenseits vernebelt euch

die konturen der welt

nie seid ihr berauscht

von heiligen hymnen und riten

nie schreit ihr vergeblich

nach einem göttlichen wunder

oder stürzt ab ins dunkel

blasphemischen betens –

glücklich ihr atheisten!

gern wäre ich einer von euch

jedoch, jedoch: ich kann nicht

Ja, leichter wäre es wohl, nicht damit zu rechnen, dass Gott kommt. Es wäre unkomplizierter, sich einzig auf das, was Welt und Menschen uns sagen, zu verlassen. Jedoch, jedoch, sagt Kurt Marti am Ende: für mich ist es leider nicht so leicht.

Gott – ähnlich erfahren es viele Christinnen und Christen – lässt mich nicht in Ruhe. Denn auch wenn wir noch ungewiss sind, wie es wird und was wird, wenn Gott sich umfassend in dieser Welt Bahn bricht, so würden wir uns doch dagegen wehren, unseren Glauben für ein bloßes Hirngespinst zu halten.

Unser Glaube schwebt nicht völlig frei in der Luft. Er kann sich stützen auf das, was die Geschichten der Bibel und wir hier bis heute in der Kirche immer wieder neu erzählen: dass Gott diese Welt liebt, sich um sie sorgt, es gut mit ihr und ihren Menschen meint und mehr mit ihr vorhat.

So hat Jesus auch auf Johannes‘ Frage aus dem Gefängnis reagiert. Ist Ihnen das aufgefallen? Jesus unterschreibt nichts: „Hiermit erkläre ich…“, um Johannes auf die Art Gewissheit zu geben, wie jener es so gern hätte. Jesus verweist auf die Momente, in denen sich Gottes Liebe und heilende Kraft schon zeigt: „Lahme gehen, die Armen erhalten die gute Botschaft.“ Nun trau dich doch, zu vertrauen – hört man ihn fast sagen.

Zeichen, Anzeichen, keine Beweise, keine Heilungsstatistik. 

Paulus ist in seinem Brief an die Korinther noch einen Schritt weitergegangen: Ungewissheit müssen wir nicht nur aushalten! Wir müssen sie sogar schützen, so lange bis Gott kommt. Haushalter über Gottes Geheimnisse sollen wir sein. Wehrt euch gegen die vielen zerstörerischen vermeintlichen Gewissheiten zwischen uns Menschen. Sprecht keine letzten Urteile übereinander. Hängt euch nicht schlicht an die ach so eindeutigen Statistiken und Prognosen, die Menschen in Schubladen schieben. : Lasst euch nicht darauf ein, statistische Normalwerte für das Maß der Dinge zu halten.

 Heute feiern wir den 4. Advent.

Advent - die Zeit des Wartens. 4 Wochen Ungewiss-sein, ein bisschen wie der Junge im Kaufhaus.

 Es ist doch bezeichnend, dass wir nicht sofort die Heilige Nacht feiern, sondern zunächst das Warten, das „Noch-Nicht“ die Ungewissheit festlich begehen. Mit Adventskranz, mit besonderen Liedern, die von unserer Hoffnung und unserem Vertrauen singen. Warten müssen, heißt Ungewissheit leben. Mit dem Kind im Spielwarenladen fragen doch auch wir: Kommst Du, Gott, Christkind, ganz bestimmt? Wann bringst du uns endlich deine Klarheit, deine Gerechtigkeit?

Wie Gottes Ankommen in dieser Welt aussehen wird, das können wir nie mit Gewissheit sagen. Schon bei seiner ersten Ankunft hat Gott ja eine Menge dessen, was als gewiss galt, ziemlich auf den Kopf gestellt: Oder mit welcher statistischen Wahrscheinlichkeit, meinen Sie, kann wohl ein Baby, armselig in einem Statt geboren, die Welt retten? Aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn! Amen

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