Gottesdienst in St. Johannis - 25.12.2016 (1. Weihnachtsfeiertag)

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Fest des Friedens
und der Liebe"

Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da ist, der da war und der da kommen wird.

Liebe Festgemeinde,

der Predigttext der uns für heute vorgeschlagen ist steht im Buch des Propheten Micha, 5, 1-4a:

Der kommende Herrscher aus Bethlehem

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. Und er wird der Friede sein.

Wir bitten in der Stille um Gottes Segen für unser Reden und Hören. Amen

Ihr Lieben,

„Sie haben ihr Ziel erreicht“,  so spricht mein Navi im Auto mit mir, wenn ich angekommen bin, meist ergänzt es dann noch: „Ihr Ziel befindet sich links“ oder wahlweise auch rechts. Sie haben ihr Ziel erreicht.

Heute am Weihnachtstag haben wir alle unser Ziel erreicht. Haben vier Wochen (sogar etwas länger) gewartet, vorbereitet, uns gehetzt und gesorgt, Ideen ausgebrütet und umgesetzt, vielleicht auch Neues entdeckt – uns entspannt und gefreut – nun sind wir in der Kirche, vor dem Weihnachtsbaum und auch zuhause hat er gestern am Heiligen Abend in allem Glanz geleuchtet. 

Im Ofen schmort vielleicht schon der Festtagsbraten – Gans oder Pute. (Manche Hausfrau entschuldigt sich schon mal für den Gottesdienst. Sie wissen ja, die Gans. (Ich empfehle da die Niedriggarmethode, da kann man dann auch mal 'ne Stunde weg vom Herd). Und auch für den gestrigen Abend haben die meisten von uns bestimmte Traditionen. Was das Essen betrifft. Kartoffelsalat und Würstchen bei den Einen, Fondue bei den Anderen. Bei manchen gibt es schon seit vielen Jahren Fisch am Heilig Abend. In meiner Familie gab es immer eine Diskussion ob es nach dem Gottesdienst sofort die Bescherung gibt, oder erst gegessen wird. In der Regel konnten wir Kinder uns durchsetzen: Erst Bescherung – dann Essen.

Weihnachten! Wir bemühen uns, einander Freude zu bereiten und nett miteinander zu sein, um ein wenig vom Frieden der Heiligen Nacht unter uns spürbar zu machen. Und in vielen Familien sind der Heilige Abend und die Weihnachtstage ja tatsächlich der einzige Termin im Jahr an dem alle zusammen kommen. Im, hoffentlich positiven Sinn, Gemeinschaft unter dem Christbaum erleben. Wo Gemeinschaft an der Krippe erleben und erfahren wird.

Ja, wir feiern gemeinsam, daheim und hier in der Kirche das Geburtsfest von Jesus, dem Sohn Gottes. In einem armseligen Stall ist er geboren. Jesus Christus, der Heiland, der Messias, von dem die Welt hofft, dass er den Frieden in die Welt bringen würde: Wunderrat, Friedensfürst, solche Namen wurden ihm gegeben. Das Fest des Friedens wird das Fest der Geburt Christi  genannt. Oder auch „Fest der Liebe“.

Manch lieb gewordenen Familientradition hilft uns dabei dieses Fest zu gestalten. Alle Jahre wieder.

Aber wie ist das mit den Inhalten der Weihnacht. Die werden ja längst nicht von allen geteilt, die Weihnachten feiern. Ist nicht ehr zu beklagen, dass eben nicht Friede auf Erden herrscht. Dass Gottes Sohn eben keinen umfassenden Frieden gebracht hat. Dass die Mächtigen eben nicht vom Thron gestoßen wurden. Dass weltweit korrupte Regime nichts als den eigenen Machterhalt im Sinn haben, dass Menschen armer Länder Opfer von Ausbeutung und Gewalt werden. Dass viele aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil Leib und Leben bedroht sind.

Und wenn wir durch die Zeiten und Generationen zurückgehen, auf der Suche nach Weihnachten, welchen Menschen würden wir begegnen?

Eine Spur finden wir in weiter zeitlicher und räumlicher Entfernung – ob es der tatsächliche Anfang war, kann man nicht so genau sagen. Da steht ein Mann vor den Trümmern seines Dorfes. Bilder wie diese kennen wir nur allzu gut aus vielen Regionen der Welt. Dieser Mann hier ist gekleidet wie eines der Klageweiber – wie eine Frau. Mit bewegter Stimme weint er und jammert – klagt die an, die in seiner Zeit und an diesem Ort das Sagen haben: Großgrundbesitzer, Politiker, Könige, Amtsträger der Priestergruppe.

Er klagt sie an, mutig, macht sie dafür verantwortlich,  dass er und seine Leute – einfache unbedeutende Menschen –Ziel kriegerische Übergriffe sind: Korruption, Machtpolitik und Landenteignung beklagt er,  Armut und Gewalt. Frauen und Kinder können nicht mehr sicher über die Straßen gehen – jeder misstraut jedem. Spitzel sind überall.

Micha heißt der mutige Mann, Dorfältester von Moreschet – einem kleinen, unbedeutenden Dorf unweit von Jerusalem. Wir befinden uns acht Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung ganz in der Nähe von Bethlehem – dem kleinen unbedeutenden Ort.

Die Bevölkerung erlebt eine große Katastrophe. Micha geht das Wagnis ein, auf öffentlichen Plätzen offen Anklage zu erheben gegen diese Missstände und: Er riskiert damit sein Leben.

Dennoch, seine Worte haben Kraft, geben Hoffnung, machen Mut, rütteln auf. So sehr, dass sie aufgeschrieben werden, dass sie durch die Jahrhunderte erhalten geblieben sind, in den Gottesdiensten gelesen und gebetet werden. Trotz schlimmer Zeit, die Israel erlebt hat. Die Teilung des Landes, Verschleppung nach Babylon. Und müssen wir nicht auch die Judenverfolgung und -vernichtung der neueren Zeit nennen?

Dennoch! Bis heute haben Michas Worte nicht an Kraft verloren, bis heute geben sie Hoffnung, halten  die Vision vom Friedensreich aufrecht. Warum? Warum hören wir bis heute seine Worte?

„Du Bethlehem Efrata“, du Bethlehem wo der Messias geboren wird…

Ich denke, die Worte des Micha haben deshalb nicht an Kraft verloren, weil sie nicht im Klagen stehen bleiben. Weil nicht die Klage über die furchtbaren, menschenverachtenden  Zustände, so berechtigt sie ist im Zentrum bleibt, sondern die Hoffnung.

Die Vision, dass da einer kommen wird, dass da einer kommt, ausgestattet mit der Kraft und der Vollmacht Gottes. „Und die Menschen werden sicher wohnen….. Und es wird ihr Friede sein."

Aus tiefem Glauben heraus, scheinbar wider alle Vernunft verkündet der Prophet, dass Gott alles zum Guten wenden wird. Dass Jahwe das Volk und die Völker dereinst retten wird.

Wenn wir den Propheten Micha heute, hier zu Wort kommen lassen, dann hätte er bestimmt auch Grund zur Klage.

Aber, auch heute bleibt er nicht im Klagen und Jammern stecken. Vielleicht hört er sich so an:

„Was feiert ihr für ein schönes Fest! Weihnachten, die Geburt des Messias. Es gefällt mir wirklich gut, dass die Hoffnung auf das kommende Friedensreich Gottes immer noch aufrecht erhalten wird. Dass die Hoffnung auf den Messias, den Retter nicht untergegangen ist, ganz im Gegenteil.

Ja, feiert die Idee, dass nichts so bleiben muss wie es ist.

Ja, die Welt ist anders geworden, als wir alle es uns dachten. Aber ich habe das Gefühl: ihr feiert! Und das habt ihr euch sicher auch verdient! Genau wie wir habt auch ihr euch den Frieden hart erarbeitet und kämpft noch immer darum, dass er erhalten bleibt. Das wird auch noch eine Weile so weitergehen, fürchte ich. Ihr habt noch einiges vor euch. Noch längst nicht haben wir den Himmel auf Erden geschaut. Aber gerade deshalb: hört nicht auf zu feiern! Hört nicht auf zu hoffen und zu glauben, hört nicht auf das Rechte zu tun und einander zu lieben, dann wird es eintreffen, was ich euch zu sagen habe:

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. ……….. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. Und er wird der Friede sein. Und weiter: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu sicheln“

Gebt die Hoffnung nicht auf. Waren es nicht die Menschen, die sich den Aufnäher mit dem Zitat „Schwerter zu Pflugscharen“ auf ihre Jacken genäht hatten und damit ganz wesentlich zur friedlichen Revolution und zum Mauerfall in der damaligen DDR beigetragen haben?

Nein, nein, schätzt mir die Kraft der Hoffnung und die Kraft der Vision nicht zu schwach ein. Ganz im Gegenteil, haltet fest an dieser Hoffnung, dass der Messias kommt.

Und: tragt dazu bei, dass diese Hoffnung Realität wird. Dass die Hoffnung Hände bekommt. Eure Hände, unsere Hände.

Wie ist es mit uns? Können wir akzeptieren, dass die Kunde von unserem Frieden und Wohlstand bis in die entlegensten Winkel der Welt dringt und die Menschen, die um ihr Leben fürchten, hierherbringt? Schaffen wir es, sie hier willkommen zu heißen und aufzunehmen, auch wenn darunter Menschen sind, die uns nicht  wohlgesonnen sind.

Es liegt auch uns.  Die Geburt des Messias gibt uns die Kraft dazu.

„Und er wird der Friede sein.“ So Michas Schlusssatz heute. Ein Herrscher, der »weidet« und nicht zwingt, der sein Volk »behütet« und umsorgt, der nicht mit Machtkalkül, sondern mit Liebe und Fürsorge die Geschicke der Menschen lenkt.

Ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst – geträumt auch, vielleicht besonders von Menschen, die Anderes erleben.

So wird aus der offenen Klage des Micha, und der Hoffnungsbotschaft vom kommenden Messias und im Gedenkens in der gottesdienstlichen Feier eine motivierende, aufrührende Friedensbotschaft entgegen aller sichtbaren Realität, denn die Friedensverheißungen für Israel und für uns, den Rest der Welt, steht bis heute aus.

Und dennoch waren diese Träume vom Frieden für alle Welt so kraftvoll, dass sie bis heute wirken.

So kraftvoll, dass ich allen sagen will, allen  die heute unter Krieg und Gewalt leiden, den Opfern von Machtpolitik und Erniedrigung:

Gebt nicht auf zu hoffen und zu glauben in eurem je eigenen Glauben, dass die Zeit kommen wird, in der alle Menschen in Frieden und Sicherheit wohnen und leben können!

Und uns allen: Hört nicht auf zu träumen, zu glauben und zu hoffen. Wir wissen doch, wie es war. Die Generationen vor uns haben Ähnliches erlitten. Lasst uns nicht mutlos werden und uns abbringen lassen von unseren Bemühungen um friedliche Lösungen. Lasst nicht zu, dass die Gewaltspirale uns vom Weg abbringt. Auch wenn wir ratlos vor dem Ausmaß stehen: Gewalt ist niemals eine langfristige Lösung für Konflikte. Der Friede, der kommt, muss ein Friede sein, der im Miteinander von Menschen geboren wird.

Feiern wir also ein Fest, wie wir es für uns haben entstehen lassen und bringen so unseren Traum vom Frieden in die Welt.

Er wird, so hat uns der mutige kleine Prophet Micha aus dem kleinen Dorf Moreschet nahe des ebenso kleinen Orts Bethlehem gezeigt, große Kraft haben, zu strahlen über die Grenzen unserer kleinen deutschen Welt hinaus.

Euch und aller Welt ein gesegnetes, friedvolles Weihnachtsfest!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft (auch höher als unser Augenschein) bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen

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