Gottesdienst in St. Johannis - 18.12.2016 (4. Advent)

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Gott begegnet den Menschen"

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist 

Liebe Schwestern und Brüder, 

Monika macht sich ein bisschen Sorgen um ihre Tochter. Sophie steht kurz vor dem Schul-Abschluss. Ja, sie lernt viel aber sie hat sich in den letzten Wochen immer mehr aus der Familie zurückgezogen. „Bestimmt macht Sophie sich Gedanken, wie es nach dem Abschluss für sie weitergeht“, vermutet ihre Mutter. „Ich habe etwas Angst davor, dass sie nach der Schule durchhängt und nicht weiß, was sie machen soll. Was danach kommt. So eine richtige Vorstellung wie es dann weitergehen soll hat sie ja noch nicht. Studieren? Und wenn ja was? Oder doch eine Berufsausbildung? Und wenn ja welche? Oder erst mal eine Auszeit? Vielleicht ein Freiwilligenjahr im Ausland? 

So richtig helfen kann ich ja auch nicht denkt Monika. Vielleicht ist es gut, einfach mal auf andere Gedanken zu kommen. „Sophie, lass uns doch mal über den Weihnachtsmarkt bummeln."  In der Fußgängerzone stoßen sie kurz darauf auf Menschen, die vor einer Kirche stehen. Sie bieten ihnen Teelichte an. Leise Musik tönt aus der offenen Kirchentür. Ein Mann spricht die beiden an: „Wollen Sie eine Kerze anzünden? Sie können damit gern in die Kirche gehen.“ Kurz zögern die beiden, aber dann nickt Sophie ihrer Mutter zu. In der Kirche stehen und sitzen Menschen, in Gedanken versunken, mit Einkaufs- und Geschenktüten bepackt. Sophie lässt sich Zeit. Beide staunen sie über die vielen brennenden Kerzen, Mutter und Tochter genießen die Ruhe.  Schließlich zündet Sophie ihre Kerze an und stellt sie auf die Altarstufen. Monika spürt: ihre Tochter betet. Als sie beide kurz darauf die Kirche verlassen, drückt Sophie einen Moment ihre Hand. Irgendwie ist es leichter um ihre Seele geworden. 

Ihr Lieben! 

Ein junger Mensch steht an einer Schnittstelle seines Lebens. Alles scheint möglich und doch – wie soll es jetzt weitergehen? Worin liegt seine Begabung? Eltern verfolgen manchmal gespannt, nervös und verunsichert, was da in ihren Kindern vorgeht. Und mitten in diese Anspannung hinein passiert es manchmal, etwas, das sich nicht richtig fassen lässt, sich oft nicht mal beschreiben lässt : eine Begegnung, ein Gedanke, eine Idee. Und die drückende Last wird plötzlich leichter. Es öffnen sich Türen, und Zuversicht leuchtet auf. Ja, das ist es. 

Unser heutiger Predigttext erzählt von einer solchen Begegnung.
Wir finden ihn bei Lukas (1,26-38): Die Ankündigung der Geburt Jesu
 
Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.  Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?  Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?  Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. 

Gott begegnet Menschen – mitten im Alltag . Sozusagen ohne Vorwarnung. „Zu der Zeit wurde der Engel Gabriel zu Maria gesandt…..“ Von der Vorgeschichte Marias erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, ob sie besonders fromm war. Jedenfalls führte sie das ganz normale Leben einer Jugendlichen damals. Sie war an einer Schnittstelle ihres Lebens. Sie war alt genug, das Elternhaus zu verlassen und eine eigene Familie zu gründen. Das Neue – ein Leben mit ihrem Josef – hat sie im Blick. Alles ganz normal, bis dahin. Alles wie üblich. Das weitere Leben scheint vorgezeichnet zu sein. So wie das ihrer Mutter, das ihrer Freundinnen. Oder hat sie auch andere Möglichkeiten? Sicher hatten Mädchen, junge Frauen damals nicht so viele Entscheidungsmöglichkeiten wie es Sophie heute hat. Dennoch, die Zukunft lag vor ihr und so ist Maria und ihre Situation doch ein bisschen mit der von Sophie mit der Situation so vieler junger Frauen heute vergleichbar. Gott begegnet Menschen – mitten im Alltag. Und am Ende, so verwirrend, so neu, so ganz anders als gedacht, da spricht diese junge Frau:Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Großes Vertrauen, Gottvertrauen, steht hinter diesen Worten. Maria wird zur ersten Repräsentantin des reformatorischen „sola fide – allein aus Glauben.“ 

Nüchtern betrachtet ist es verrückt von Maria, (und ich könnte mir vorstellen, dass sich Marias Mutter jetzt erst recht Sorgen gemacht hat) Es scheint verrückt zu sein, sich auf die Ankündigung des Engels einzulassen, ohne die Bedingungen genau zu kennen. Sie lässt sich berufen auf einen Weg, der völlig neu und einmalig, völlig anders ist. Was gibt Maria die Kraft, sich so auf das Unbekannte einzulassen? Trotz aller Zweifel (wie soll das zugehen, wo ich von keinem Mann weiß?)! Maria wohl spürt in den Worten des Engels: Gott kennt mich. Er weiß, dass ich mich fürchte vor dieser Ankündigung und vor der Veränderung, die ansteht. Gott kennt mich ganz – auch meine innersten Gefühle. Er kennt mich besser als ich mich selbst. Er weiß, wozu ich gut bin. Maria ist der Mensch, der Gottes Handeln annimmt. Sie wird von Gott begnadet, also von Gott zu einer besonderen Aufgabe berufen. 

Von Gott begnadet. Ihr Lieben da müssen wir nicht zuerst an die großen der Welt- und Kirchengeschichte denken. Von Gott berufen, von Gott begnadet –das ist jeder Mensch, der seine Arbeit in Verantwortung vor Gott tut. Der Bäcker, der ein gutes Brot backt, ebenso wie eine Wissenschaftlerin, die dem Fortschritt der Menschheit dienen will. Von Gott berufen – das ist der junge Landwirt, der sich trotz seiner Zweifel und der schwierigen Berufsaussichten für den elterlichen Betrieb entscheidet. Sei gegrüßt, du Begnadete! sagt der Engel. Und ich stelle mir vor, wie schön das wäre, wenn Sie und ich diesen Gruß auch hören könnten. Sei gegrüßt du Begnadeter, sei gegrüßt du Berufener….. 

Viele Jugendliche sehnen sich danach, ihren Weg und ihre spezielle Begabung zu finden. Sie möchten einmal aus berufenem Munde hören: „Du singst begnadet! Du bist eine begnadete Musikerin! Du kannst begnadet mit der Technik oder mit Menschen umgehen!“. Begabtenförderung gibt es ja auch bei uns. Leider ist sie so stark auf schulische Höchstleistungen eingeengt. Dabei könnten Jugendliche in verschiedenen Bereichen als begabt gefördert werden: Lob und Anerkennung für Jugendliche, die sich sozial engagieren. Lob für Jugendliche, die handwerklich geschickt sind. Und natürlich gilt das für uns alle. Gott begnadet nicht nur Jugendliche am Anfang des Lebens. Gott begnadet Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder. Er ruft sie heraus aus ihrem Alltag zu einer besonderen Aufgabe. Auch uns. Da gibt es Männer und Frauen, die nach ihrer Beruf- und Kinderphase wieder neu durchstarten. Sie spüren: Da gibt es in mir eine Begabung, die habe ich bisher noch nicht ausleben können. Weil noch nicht die Zeit dafür war, oder weil ich mich nicht getraut habe. An dieser Stelle wird uns ein Unterschied zwischen Maria und uns bewusst: Maria hat den Engel des Herrn gesehen und seine Stimme gehört! Sie hatte ihn klar vor Augen. Es war keine Einbildung, keine Selbstüberschätzung. 

So ganz ohne ein konkretes Gegenüber ist es schwieriger, die Stimme Gottes zu hören und ihr zu vertrauen. Seine Stimme herauszuhören aus dem Getöse und Lärm unserer Zeit. Da ist es bestimmt eine gute Idee, es wie Monika und Sophie zu machen. Herauszugehen aus dem Trubel. Auch aus dem Trubel der Advents- und Weihnachtszeit. Einen stillen Ort zu finden. Warum nicht eine Kirche, warum nicht eine Kerze anzünden. Still werden um Gott zu hören. Ich gebe zu, so eine Berufung kann auch Angst machen. Dem will ich mich vielleicht lieber entziehen. Oder es melden sich Zweifel, wie bei Maria:Wie soll das zugehen, …… wie soll das gehen, da ist doch noch….. 

Begnadet-sein ist nicht leicht. Es kann auch Arbeit, Schmerz und Ausgrenzung bedeuten. Begnadet-sein wird nicht unbedingt gesellschaftlich anerkannt. Jesus selbst wurde von nicht wenigen seiner Zeitgenossen für einen Gotteslästerer gehalten. Dass jemand begnadet ist, erkennt oft erst die Nachwelt. Und der Begnadete selbst ist und bleibt voller Selbstzweifel. Wie hat Luther mit sich und seiner Berufung gerungen! Und wie wir heute wissen, hat auch die begnadete Mutter Theresa Zeit ihres Lebens mit Selbstzweifeln gekämpft. Martin Luther ist es aber auch, der erkannt hat: Wir sind alle, so, wie wir da in der Kirche sitzen, sind Begnadete, Berufene. Durch die Taufe hat jeder von uns die Gnade Gottes empfangen. Gnade gibt es nicht nur für wenige Auserwählte, für die Heiligen. Jeder, der getauft ist, hat die Gnade des Heiligen Geistes. 

Und ein letzter Gedanke dazu ist wichtig: Begnadet sein ist immer auch eine Verpflichtung. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Maria bekommt einen Sohn, dessen Reich auf Erden nie enden wird, und sie wird zu ihrem Begnadet-sein stehen bis unters Kreuz. Und so ist die Aufgabe eines jeden von uns hier, sein Begnadet-sein nicht für sich zu behalten, sondern zu leben. Seine Talente nicht zu verstecken, seine Begabungen nicht zu verbergen. Mit meiner Begabung kann ich das Leben anderer bereichern, ja manchmal sogar retten. Ein Physiker, ein Bauer, ein Banker, eine Mutter, eine Ärztin, ein Handwerker, junge und alte Menschen…….. – sie alle sollen ihren Berufung, ihre Begnadung – in Verantwortung vor Gott leben. 

Gott schenkt dazu die Intelligenz. Menschen können forschen und entdecken. Frauen und Männer bekommen als besondere Gnade – Kinder. Gott schenkt uns diese Gnade, und wir müssen uns vor ihm verantworten. Fatal wird es in der Forschung, Wirtschaft, Wissenschaft und in den Familien, wenn Menschen die Quelle ihrer Gnade in Gott vergessen. Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Maria spürt, worin ihre Aufgabe liegt. Sie hat ein Ziel vor Augen, einen Sinn in ihrem Leben, weil Gott sie berührt hat. Unseren jungen Menschen heute, aber auch uns allen wünsche ich, dass wir Gottes Gnadengaben erkennen. Und dass wir voll Vertrauen „Ja“ dazu sagen und in Verantwortung vor Gott leben: Mir geschehe, wie du gesagt!

Amen

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