Gottesdienst im Curanum und in St. Johannis am 23.10.2016

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Curanum, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Ich danke meinem Gott"

Predigttext: Brief an die Philister 1,3-11

Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke - was ich allezeit tue in allen meinen Gebeten für euch alle, und ich tue das Gebet mit Freuden -, für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis heute; und ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu. Wie es denn recht und billig ist, dass ich so von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verteidige und bekräftige. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Christus Jesus. Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, sodass ihr prüfen könnt, was das Beste sei, damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi, erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lobe Gottes.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen.

I.

Liebe Gemeinde!

Manchmal, wenn ich die Briefe des Apostel Paulus lese, dann denke ich, er und sein Leute sind eine Art Kriseninterventionsteam: Fremde Missionare und Spaltungen bedrohen die Gemeinde in Korinth, in Rom droht die Gemeinde im Streit ums Götzenopferfleisch zu zerbrechen, in Thessalonich gibt’s Zweifel am Schicksal der Verstorbenen und an der Auferstehung. Paulus ist unermüdlich unterwegs von einer Gemeinde zur Nächsten, er schickt seine Mitarbeiter, und er schreibt Briefe, um aus der Ferne zu helfen.  Gäbe es übrigens diese Spannungen und Krisen in den Gemeinden nicht, hätten wir wahrscheinlich auch keine Briefe von ihm, die überliefert worden wären. Paulus ist ständig gefordert, Krisen lösen, Menschen zusammenzuführen, Streit zu schlichten, zu trösten, zu bestärken, zu lehren und ab und an auch zu schimpfen.

Aber Gott sei Dank gibt es Philippi. Das wird sich Paulus bestimmt nicht nur einmal gedacht haben. Wenn er an Philippi denkt, da kommt Freude auf. Vielleicht hat er sich ab und an zurückgelehnt, ist in Gedanken in diese griechische Hafenstadt gereist und schwelgt vor sich hin: eine Gemeinde, in deren geistlichem Leben und in deren Miteinander alles in Ordnung ist. Eine Gemeinde, die ihm Freude macht. Paulus ist einfach dankbar.

Mit diesem Dank beginnt Paulus das Einleitungskapitel seines Philipperbriefs: „Ich danke meinem Gott, so oft ich an Euch denke“.

Ich denke, dass wir manchmal dem Paulus sehr ähnlich sind: Oft rennen wir von einem zum Nächsten: Arbeit, Einkaufen, Kind abholen, Kochen, Kinder wieder zum Sport oder zum Musikunterricht verschaffen, Vereinssitzung, ehrenamtliche Aufgaben, die man gerne übernimmt, mit Bekannten treffen, das Hobby. Es sind oft keine Krisen, die Paulus veranlasst haben, unermüdlich unterwegs zu sein, aber trotzdem möchte man sich mal zurücklehnen, aber erlaubt es sich nicht, weil es ja soviel zu tun gibt. Meine Frau sagt ab und an: „Ausruhen kann ich mich im Grab.“.

Paulus lehnt sich zurück. Er blickt nach Philippi, sieht viel Gutes und dankt seinem Gott. Ich denke, das brauchen wir alle: solche Auszeiten, in denen wir auf das Gute und Gelungene blicken. Indem wir nicht ans Morgen denken, nicht an das, was zu tun sein wird. Ohne das schlechtes Gewissen, weil jetzt mal Pause machen. Solche Momente tun gut. Sie führen uns vor Augen, wo überall Spuren des Segens in unserem Leben sind. Dankbarkeit schafft Zufriedenheit. Und solche Momente geben Kraft für die anstehenden Aufgaben, und lassen manche Dinge in einem anderen Licht erscheinen und manches an Gewicht verlieren. Also nehmt Euch vielleicht ganz konkret vor, diese Auszeiten in unseren Lebensrhythmus einzuplanen, regelmäßig herauszutreten aus dem Alltag und an das Gute denkend und dankend einzutreten in die Gegenwart Gottes.

Paulus dankt für die Gemeinde. Und sagt: „Ich tue das Dankgebet mit Freuden!“. Paulus blickt dabei bestimmt auch zurück auf den Anfang der Gemeinde in Philippi, an dem er seinen Anteil hatte. Lydia hatte er damals zuerst getauft, die allererste Christin in Europa, und von ihrer Hausgemeinde ausgehend ist die christliche Gemeinschaft gewachsen. Paulus weiß sich auf Grund der gemeinsamen Geschichte, des gemeinsamen Anfangs, für den Glauben der Philipper verantwortlich: ihr Ruhm ist sein Ruhm, und ihre Gnade seine Gnade. Er dankt Gott dafür, dass die Philipper mit ihm im Evangelium verbunden sind, in der gleichen Hoffnung und im gleichen Glauben an den einen Herrn stehen.

Paulus dankt für die Gemeinde.

Wie steht’s da bei uns? Danken wir für unsere Gemeinde? Anstatt zu fragen: Was fehlt?, was müsste noch getan werden? wahrnehmen was da ist: was wir in St. Johannis tun, was wir gut tun, wo wir für Menschen da sind und ihnen im Leben und im Glauben helfen.

In unserer Gemeinde haben wir ein sozialdiakonisches Konzept, und wer den Gemeindebrief auf der drittletzten Seite aufschlägt, der sieht, mit wie vielen Angeboten wir hier aktiv sind: von den Kindergärten über den Behindertenclub, das Treffen der Aphasiker bis zur Suppenküche und unserem Café Verschnaufpause. Dazu kommen viele Einzelhilfen, wo wir uns der ganz konkreten Nöte von Einzelnen annehmen. Aber auch unsere verkündigende und spirituelle Aufgabe nehmen wir als Gemeinde wahr, durch die Gottesdienste und Andachten, durch den Schul- oder Konfirmandenunterricht, die Bibelkreise oder den Gemeindebrief. Menschen können sich austauschen über den Glauben, kritisch hinterfragen, Neues entdecken. Ich denke, dass wir sehr viel tun. Und dass wir danken können für das, was in unserer Gemeinde geschieht, und v.a. dafür, dass sich so viele Menschen ehrenamtlich einbringen.

Denn Gemeinde, das sind ja nicht der Pfarrer, die Hauptamtlichen und die Kirchenvorsteher. Gemeinde, das sind wir alle. Jeder getaufte Christ gehört dazu. Jeder ist ein lebendiger Stein der Gemeinde. Und wer eine neue Idee hat, wer Lust hat, sich einzubringen, einen Kindergottesdienst zu beginnen oder anderes, was es bislang noch nicht gibt, ist herzlich eigeladen das zu tun, und wir werden ihn unterstützen. In der letzten KV-Sitzung haben wir beschlossen, dass nach den Herbstferien ein Kinderchor starten wird. Auch das war die Initiative einer Person, und wir werden sehen, ob dieses Angebot angenommen wird oder nicht. Durch solche Initiativen kann es zu neuen Aufbrüchen kommen. Heute aber sehen wir mit Paulus auf das, was es schon alles gibt, und danken Gott dafür.

Als Paulus den Philipperbrief schreibt, ist er in Haft. Er weiß nicht, wie sein  Prozess ausgeht. Er muss mit dem Schlimmsten rechnen. Umso erstaunlicher ist, dass er trotzdem für andere Menschen dankt und für die Gemeinde. Im Leid auf das Gute zu blicken, das kann das Schwere verändern, das kann helfen, das Leid anzunehmen, aus den guten Erfahrungen mit Gott Kraft zu gewinnen für den schweren Weg. Ich habe Menschen kennengelernt, die angesichts der schlimmsten Diagnosen dankbar waren für das, was ihnen geschenkt wurde, und dafür, dass es ihren Familien gut geht. Das hat sie innerlich ruhig gemacht und hat es erleichtert, den Weg gehen, dessen Ende ungewiss ist.

Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass Paulus sein Dankgebet mit Freude spricht. Er dankt aber noch auf eine zweite Weise, nämlich indem er in die Zukunft vertraut. Er schreibt: „Ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.“.

Guter Zuversicht sein – das wünscht sich eigentlich jeder. Paulus ist guter Zuversicht, weil er sich sicher ist, dass Gott die Seinen nicht im Stich lässt. Paulus spricht vom „guten Werk“, das Gott nicht nur begonnen hat, sondern es auch vollenden wird. Mit gutem Werk meint er den Glauben selbst. Die Philipper haben Gemeinschaft mit Gott. Gott selbst hat den Glauben in ihnen erweckt. Und er selbst ist es, der sie im Glauben erhält und stärkt, bis einmal Jesus Christus wiederkommt. Gott lässt die Seinen nicht im Stich. Dieses Vertrauen folgt aus dem Dank für Gottes bisheriges Wirken.

II.

Die Gemeinde in Philippi ist diejenige, mit der Paulus sich enger verbunden fühlt als mit jeder anderen Gemeinde.

„Weil ich euch im Herzen habe“, das sagt Paulus im zweiten Teil seines einleitenden Kapitels zu den Philippern. Und er erklärt warum er sich so eng mit den Philippern verbunden fühlt.

Paulus erzählt von seiner Gefangenschaft. Und das Erstaunliche: Er bezeichnet seine Gefangennahme als „Gnade“. Wie das? Müsste er nicht sein Leid klagen und die Philipper bitten, dass sie vor Gott für seine Befreiung eintreten? Nein. Paulus sagt: Meine Gefangenschaft dient dem Evangelium. Wenn ich vor Gericht stehe, dann kann ich das Evangelium die Öffentlichkeit tragen und vor aller Öffentlichkeit verteidigen und bekräftigen. Hier liegt eine Paradoxie vor, wie sie für Paulus typisch ist: Er wertet das Leiden-müssen zu einem Leiden-dürfen um, weil ein höheres Ziel dahintersteht.

Auch die Gemeinde in Philippi ist von Verfolgung bedroht, und Paulus sagt: Ihr habt mit mir an der gleichen Gnade teil. Weil beide, Paulus und die Gemeinde, vor der gleichen Herausforderung stehen bzw. ihnen die gleiche Gnade geschenkt ist, öffentlich für das Evangelium eintreten zu dürfen, deshalb ist er mit dieser Gemeinde tiefer und näher verbunden als mit sonst einer Gemeinde.

Wie verbunden fühlen eigentlich wir uns mit unserer Kirchengemeinde? Gehören wir ganz selbstverständlich dazu, weil das eben traditionell so ist? Ist uns die Gemeinde egal, und kommen wir deshalb in den Gottesdienst, weil wir uns selbst etwas Gutes tun wollen? Identifizieren wir uns mit der Gemeinde? Engagieren wir uns vielleicht sogar? Beten wir für sie wie Paulus?

Und wir können uns auch fragen: Warum fühlen wir uns mit unserer Gemeinde eng verbunden? Welche guten Erfahrungen haben wir gemacht? Oder aber: Warum fühlen wir uns nicht so verbunden? Und was könnten wir daran ändern, denn schließlich liegt es auch an uns, denn wir sind eben ein lebendiger Stein und sollen unser Anliegen einbringen und die Gemeinde mitgestalten.

III.

„Ich bete darum“. So beginnt Paulus den dritten Teil seines einführenden Briefabschnitts.

Paulus betet für die Philipper.

Wie fühlt sich das an, wenn man weiß, dass für einen gebetet wird?

Meine Großmutter hat mir ab und an gesagt: „Ich bete jeden Abend für euch!“. Da war ich immer bewegt, und zugleich hat sich bei mir ein warmes, wohliges Gefühl eingestellt. Es ist nicht selbstverständlich, und es tut gut, wenn jemand nicht nur an mich denkt, sondern mich, mein Leben, meine Freude und meine Sorgen auch vor Gott bringt, mein Leben vor Gott präsent hält. Füreinander zu beten ist etwas Wunderbares.

Paulus betet für die Gemeinde.

Ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung.“. Paulus wünscht sich, dass die Liebe in der Gemeinde wächst.

Welche Liebe meint er? Die Liebe zu wem? Er spricht von „Eurer Liebe“. Diese Liebe ist durch kein Objekt einschränkbar: Weder meint es nur die Liebe zu dem Apostel oder allen Gläubigen oder allen Menschen, noch allein die Liebe zu Gott oder Christus. Die Liebe umfasst dieses alles, weil sie aus dem Glauben heraus fließt. Es ist nicht nur hier der Fall, dass Paulus die Gesamtheit christlichen Lebens und Glaubens mit diesem einen Wort umfasst. Das Hohelied der Liebe im Korintherbrief gibt ist dafür ein unübertroffenes Zeugnis: So bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.

Ich lese weiter im Gebet des Paulus, der Vers 10: „so dass ihr prüfen könnt, was das Beste sei, damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi“.

Für die Menschen in Philippi, die erst seit kurzem Christen sind, galt es aus der Fülle unterschiedlicher ethischer Vorschriften auszuwählen, die ihnen durch das Alte Testament oder durch dessen traditionelle Interpretation durch die Rabbiner, durch die griechische Umwelt oder die eigene Lebenserfahrung bekannt sind. Deswegen spricht Paulus auch von den Früchten der Gerechtigkeit „durch Jesus Christus“:  Die überlieferte Anschauung auf ethischem Gebiet haben einen neuen Grund, nämlich Jesus Christus: seine Lehre, sein Leben, seine Hingabe.

Der Sinn dieses Wählens ist entspricht in gewisser Weise der Frage nach dem vornehmsten Gebot, also danach, wonach ich mich im zwischenmenschlichen Zusammenleben ausrichten soll.

Die Antwort, die der Gläubige geben soll, ist die gleiche, die Jesus und zahlreiche Rabbinen seiner Zeit gaben: Du sollst lieben! Von hier führt der Weg dann weiter zu einem der großen Worte Augustins, der gesagt hat: Liebe, und tu, was du willst.

Aber trotzdem ist es oft nicht so leicht, das Richtige zu tun. Oder aber wir versagen, weil wir aus irgendeinem Grund uns nicht trauen das zu tun, was wir spüren, dass getan werden müsste. Prüft, was das Beste sei. Prüfen ist mehr als mit dem Verstand beurteilen. Prüfen heißt auch Ausprobieren: Liebe zu üben, ganz konkret, und daraus Erfahrungen sammeln für ähnliche oder andere Situationen, in denen wir gefordert sind. Das heißt also: Learning by doing. Dazulernen in der Liebe während man sie praktiziert. Und wir werden merken, wie sich die Liebe bewährt.

Um „Früchte der Gerechtigkeit durch Jesus Christus“ bittet Paulus, und weiß, dass es Gott ist, durch den diese Früchte in uns wachsen und reifen: Unser Leben ist ein Widerhall dessen, was Jesus in uns anregt.

„Bei der Olympiade der Behinderten in den USA vor einigen Jahren bewegte die wenigen Zuschauer vor allem der 400-m- Endlauf der Männer. Acht Behinderte laufen los, jeder mit einem anderen handicap. Das sieht nicht so schön aus, und mancher wendet sich erschrocken ab. Doch dann schauen wieder alle hin, als kurz vor dem Ziel der führende Läufer stürzt. Der zweite rennt nicht vorbei, um sich den Sieg zu sichern. Er läuft zu dem Gestürzten, richtet ihn mühsam auf, schleppt ihn mit sich, und zu zweit humpeln sie weiter. Da kommen die anderen auch schon heran, aber auch sie laufen nun nicht an den beiden vorbei, sondern auf sie zu. Alle greifen sich unter die Arme, den Gestürzten haben sie in der Mitte, und so laufen und schleppen sie sich gemeinsam ins Ziel.

Unsere Gemeinden sind ähnlich. Manchmal läuft einiges nicht so elegant und schneidig, manches vielleicht sogar erbärmlich anzuschauen und eher kümmerlich. Aber der Glanz und die Schönheit unserer Gemeinden liegt gar nicht in unserem Können, unserer Eleganz und Kompetenz, unserer Superform und bestechenden Cleverness, sondern darin, dass wir Gestützte aufheben und Behinderte annehmen und Schwache tragen und einander helfen und lieben. In der Gemeinde Jesu kommt es nicht darauf an, dass einer der Beste und strahlende Sieger ist, sondern dass alle, auch die Schwachen und Kleinen, gemeinsam das Ziel erreichen. Der eigentliche Glanz der Gemeinde ist ihre Liebe.“. (Axel Kühner, Voller Freude und Gelassenheit, S. 128)

Beten wir mit Paulus dafür, dass auch unsere Liebe immer reicher werde, dass wir es ausprobieren, einander zu lieben auf ganz unterschiedliche Weisen und dass unser Glaube Früchte trägt – nicht nur in unserem privatem Leben, sondern v.a. auch in der Gemeinde unseres Herrn. Dann werden wir immer mehr Grund haben, ihm, unserem Gott, zu danken. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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