Gottesdienst am Sonntag Kantate in St. Johannis und im AWO am 14. Mai 17

Bildrechte beim Autor

AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Herr, bin ich's?"

Predigttext: Mt. 21, 14-17

Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus sprach zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Bethanien und blieb dort über Nacht.

Liebe Schwestern und Brüder,

Was haben Sie heute Morgen mitgebracht in den Gottesdienst? Komische Frage, aber gar nicht so abwegig. Jeder von uns hat eine ganze Menge mitgebracht.  Vielleicht gehören Sie zu denen, die Bibel oder das eigene Gesangbuch dabei haben. Ich habe in jedem Fall meine Aufzeichnungen und Notizen zu diesem Gottesdienst mitgebracht. Die Predigt, Gebetstexte. Vielleicht haben Sie ein Familienmitglied mitgebracht oder einen Nachbarn. Vielleicht Geld für die Kollekte.

Und sonst? Vielleicht Gefühle? Vorfreude? Sorgen? Traurigkeit? Verzweiflung? Glück? Angst ? Dank?

Oder auch ganz spezielle Gedanken? Am ehesten vielleicht Ihre Grübel-Gedanken und Sorgen, die haben wir ja sowieso meistens dabei, können sie nicht einfach zu Hause lassen,

Und natürlich haben Sie sich selbst mitgebracht. Ihren Körper. Vielleicht ist Ihnen das gar nicht aufgefallen, weil der alles gut mitmacht, der Körper.

Aber vielleicht auch nicht: Vielleicht sind Sie nicht mehr so gut zu Fuß. Das Laufen ist mühsam. Eine  Behinderung die schwer macht.  Oder die Schmerzen. Vielleicht machen die Ohren nicht mit, und Sie wissen gar nicht so recht. Oder. Oder.

Sie merken: Wir bringen heute Morgen ganz Unterschiedliches mit, wir bringen UNS selbst ganz unterschiedlich mit. Und irgendwie »läuft« dann so ein Gottesdienst. Und für Jeden und Jede anders.

Als Jesus in seiner letzten Erden-Woche in Jerusalem den Tempel betritt, da trifft er auf Leute, die haben auch was mitgebracht: Opfertiere, klein und groß. Das normale Geld von draußen und das spezielle Tempelgeld. Es wird gewechselt, umgetauscht, ge- und verkauft, damit der normale Opferbetrieb funktioniert. Aber Jesus platzt der Kragen. Er jagt sie alle hinaus. Sie kennen diese Geschichte wahrscheinlich. Es sind die Verse unmittelbar vor unserem Predigttext. Die »Tempelreinigung«, so ist der Abschnitt überschreiben.  »Mein Haus soll ein Bethaus sein!«, zitiert Jesus den Propheten Jesaja. Aber was die Leute alles mitgebracht haben, das dient anderen Zwecken. Das stört das Gebet, die Andacht, den Gottesdienst.

Aber nun kommen noch andere, erzählt uns Matthäus. Und die bringen etwas ganz anderes mit, kommen ganz anders zu Wort.: Ich lese den Bibeltext noch einmal, diesmal in der Übertragung aus der Einheitsübersetzung. Achten Sie auf die Akteure:

„Im Tempel kamen Lahme und Blinde zu ihm und er heilte sie. Als nun die Hohenpriester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder im Tempel rufen hörten: Hosanna dem Sohn Davids!, da wurden sie ärgerlich und sagten zu ihm: Hörst du, was sie rufen? Jesus antwortete ihnen: Ja, ich höre es. Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob? Und er ließ sie stehen und ging aus der Stadt hinaus nach Bethanien; dort übernachtete er.“

„Blinde und Lahme“ also. Kein Geld und keine Opfergaben bringen sie. Sondern ihre Defizite, ihre Handicaps. Ihre Behinderung, Außerdem bringen sie: Ziemlich viel Mühe, sie können ja nicht einfach hierher spazieren. Vielleicht haben sie sich auch zusammen getan: Die Blinden tragen die Lahmen, und die Lahmen sagen, wo es lang geht. Und wozu all die Mühe? Diese Anstrengung?

Ich glaube, dass sie neben ihren Einschränkungen auch noch Vertrauen und Hoffnung mitbringen! Die Hoffnung, dass Jesus sie heilt. Und Mut bringen sie ebenfalls mit. Denn eigentlich sind Leute mit solchen Behinderungen hier im Tempel nicht erwünscht. Die dürfen vor dem Tempel betteln.

Und Jesus? Der schmeißt sie nicht raus, wie er es mit den Händlern und Geldwechslern tat. . Im Gegenteil: Sie sind ihm willkommen mit ihren Gebrechen, ihrer Mühe, aber eben auch mit der Hoffnung, dem Vertrauen, dem Mut den sie aufbringen, den sie mitbringen. Sie überschreiten eine Grenze, ducken sich nicht weg, machen sich nicht unsichtbar Und:  Sie erfahren Heilung. Kann das auch eine Botschaft für uns sein?

Wer kommt noch? Kinder! Sie rufen und schreien! »Hosanna dem Sohn Davids!« Das haben sie vielleicht eben beim Einzug Jesu in Jerusalem aufgeschnappt, da haben ganz viele so gerufen. »Kantate« heißt unser Sonntag heute. „Singt!“ Singen ist das nicht gerade was die Kinder da rufen. Kein Kinderchor. Eher herausgerufener Jubel. Vielleicht krumm und schief. So, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die Kinder bringen ihren Jesus-Jubel mit, einfach so. Jesus gibt auch ihnen Recht, sie sind richtig hier. „Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob?“

Ja und dann haben wir noch eine Gruppe von Tempelbesuchern die erwähnt werden müssen. Klar, die gehören da sowieso hin.

Sie bringen ihren Ärger mit. Über all die Unbotmäßigkeiten die da im Tempel passieren. Was bildet der sich ein, dieser Jesus. Bringt die ganze Ordnung durcheinander. Es funktioniert doch alles.

Die Hohenpriester und Schriftgelehrten haben nämlich auch etwas dabei.

Sie haben ihre Sicht der Dinge, auch ihre Theologie dabei. Und da passt es ihnen gar nicht, was die Kinder rufen. Zumal die ja noch gar nicht verstehen, was sie da von sich geben. Ihre kluge Meinung und ihren Ärger, den bringen die gebildeten Herren und Würdenträger nun als Vorwurf zu Jesus.

Und Jesus? Der fertigt sie ab: »Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob?« Dann lässt er sie einfach stehen mit ihrer Weisheit und geht weg. Geht gar nicht auf sie ein. Was werden die Vertreter des religiösen Establishments wohl mitnehmen. Noch mehr Ärger, Zorn, Unverständnis, Rachepläne? Wahrscheinlich nehmen sie mehr mit als was sie mitbrachten als sie zum Tempel gingen.

Nun nochmal zu uns zu dem  was Sie und ich  mitbringen auch an Erwartungen an einen Gottesdienst, ja auch an Erwartungen an die ganze Kirche. Gerade als Kirche können wir immer Gefahr laufen zur Gruppe der Händler und Geldwechsler zu gehören.

Wo es darum geht, das kirchliche Leben zu organisieren, da geht es immer auch um Geld, Finanzpläne, Strukturen und Ordnungen. DA kann es leicht passieren, dass wir schneller den Händlern, Käufern und Geldwechslern, den Geschäftsleuten  im Tempel ähnlich werden, als uns lieb sein kann. Und als es Christus lieb ist.

Also: Gerade wir Kirchenleute sind  gut beraten, nicht gleich auf die Händler, Käufer, Geldwechsler einzudreschen. Sondern in den Spiegel zu gucken. Und zu fragen: „Herr, bin ich’s?“

Haben wir Platz für die „Lahmen und Blinden“ und Kranken und Mittellosen, die nichts bringen als ihre Hoffnung, haben wir Raum für die Kinder, die manchmal laut sind, eben nicht still sitzen?

Und ist mein Leben, besonders das eines hauptberuflichen kirchlichen Mitarbeiters noch ein „Bethaus“, in dem Gott und Christus in der Mitte stehen? Oder gleicht meine Arbeit nicht ehr einem religiöser Betrieb, den ich am Laufen halten »muss«? Geht mir das Eigentliche vielleicht verloren vor lauter Drum und Dran und wie es bei den Leuten ankommt?

Oder bringe ich meine festen Überzeugungen mit, was denn der richtige Glaube und die richtige Form ist? Wie alles seine festgefügte Ordnung haben muss. Es wird schnell Ärger daraus wie bei den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, wenn die Kinder es anders sehen und ganz anders machen. Aus dem Eifer, wie es denn richtig ist, werden schnell Rechthaberei und Arroganz, Besserwisserei. Manchmal erliege ich schon der Versuchung der Besserwisserei. Sie vielleicht auch. Jesus lässt die Schriftgelehrten solchen Schlages einfach stehen.

Oder kommen Sie wie die Blinden und Lahmen zu Jesus? Mit Ihren Defiziten und Mängeln, mit Ihrer Not, mit Ihrer Unbeweglichkeit und Ihren Lähmungen und Blockaden, mit Ihren Scheuklappen, Ihrer Orientierungs- und Ratlosigkeit? Mit Ihrem bisschen Glauben und dem kleinen Senfkorn Hoffnung? Das wäre ehrlich: Sie würden sich und anderen nichts mehr vormachen, und Jesus auch nicht. So zu ihm kommen, wie Sie gerade sind und wie es Ihnen ums Herz ist. Das hat Verheißung! Vielleicht erfahren auch Sie in Jesu Nähe etwas Heilsames! Heilung! Ich wünsche es sehr.

Oder bringen Sie Ihren Jubel und Ihren Gesang? Vielleicht krumm und schief, vielleicht unreflektiert und spontan, eben so wie die Kinder im Tempel? Jesus freut sich! Und er nimmt Sie in Schutz und gibt Ihnen Recht! Halleluja!

Ich habe eingangs gefragt, was Sie heute mitgebracht haben. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch etwas mitnehmen, für Zuhause.

Vielleicht etwas Hoffnung, wie die Lahmen und Blinden, Vielleicht einen Jubelgesang wie die Kinder, als Dank für die erlebte Gemeinschaft untereinander und mit Gott, vielleicht auch ein Nachdenken darüber wo denn der etwas arrogante Schriftgelehrte in uns steckt oder der geschäftstüchtige Händler.

Nehmen Sie diese Gedanken mit aus dem Gottesdienst und nach Hause, auch fürs Gebet. 

Und mit einem Gebet endet diese Predigt auch:

Christus, manchmal stehe ich mir durch meine Überzeugungen und meine selbstverständlichen Rollen im Weg – im Weg zu dir, im Weg zu mir selbst, im Weg zu den anderen, zu wirklicher Begegnung. Ich bitte dich: Rüttle mich auf! Und: Lass mich meine Blindheiten und Lähmungen erkennen! Damit ich so zu dir kommen kann, wie ich bin. Und du mich heilst.

Amen.

nach oben