Gottesdienst am Sonntag Invokavit - 14. Februar 2011

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Ach du lieber Gott!"

 

Liebe Gemeinde!

„Ach du lieber Gott!“, denkt Frau Schmitt.

Morgen kommt Thea, ihre Enkelin. Thea wohnt etwa 100 km weit weg. Aber manchmal kommt sie übers Wochenende. Sie hat angerufen und hat gesagt, sie käme gern, aber sie müsse am Sonntag zum Gottesdienst. Das sei wegen der Konfirmation. Sie müssen als Konfirmanden mindestens 30 Gottesdienste besuchen und sie müsse noch ein bisschen aufholen. Konkret braucht sie eine Unterschrift auf ihrem Gottesdienstkärtchen.

Ach du lieber Gott, denkt Frau Schmitt. Nicht dass sie nicht gerne mit ihrer Enkelin in die Kirche gehen würde. Das ist es nicht, ganz im Gegenteil.

Aber mit Thea, die gerade 14 geworden ist?  So Gottesdienste sind ja nicht gerade  das Highlight für junge Menschen.  Diese jungen Mädchen haben doch ganz andere Sachen im Kopf.

Frau Schmitt schaut in ihrem Losungsbüchlein schon mal nach, was denn für ein Predigttext dran ist. Ach du lieber Gott, denkt sie (schon wieder) nach der Lektüre des Textes. Auch noch sowas. Der Predigttext vom Sonntag ist nicht gerade dazu angetan, eine Konfirmandin vom Stuhl zu reißen.  Den verstehe ich ja kaum denkt Frau Schmitt.

Noch einmal nimmt sie ihre Bibel zur Hand, schaut im Losungsbuch, welcher Text dran ist, und liest: Hebr. 4, 14-16

„Wir haben einen großen Hohepriester, der die Himmel durchschritten hat: Jesus, den Sohn Gottes. So lasst uns an dem Bekenntnis zu ihm festhalten. Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der unfähig ist, unsere Schwachheit mitzuerleiden. Im Gegenteil: Die gleichen Versuchungen hat er erfahren wie wir, jedoch ohne Sünde.

So lasst uns mit freiem Mut vor den Thron der Gnade treten, um Erbarmen und Gnade zu finden als Hilfe zur rechten Zeit.“

‚Ach du lieber Gott!’, denkt Frau Schmitt, jetzt schon zum vierten Mal und legt  diesen schwierigen Text erst mal beiseite.

Als Thea dann ankommt, sieht sie bedrückt aus. Das merkt Frau Schmitt sofort. Aber sie weiß: Fragen hat keinen Sinn. Und so wartet sie, bis ihre Enkelin von allein zu erzählen anfangen würde. Meistens tut sie das ja, denn die Beiden, Oma und Enkelin verstehen sich gut.

Und richtig, am Kaffeetisch ist es dann soweit. „Da gehe ich nun Woche für Woche zur Konfi-Stunde!“, sprudelt es aus ihr heraus. „Aber: was das mit diesem Gott auf sich hat, werde ich nie verstehen! Und in der Schule, etwa in Reli, wenn ich mal nachfrage, mal etwas genauer wissen will,  soll ich mich noch dafür rechtfertigen: ‚Du glaubst wohl noch an den lieben Gott?! Ha Ha!’

Weißt du, Omi – manchmal geht mir einfach alles schief, und ich mache immerzu das, was ich gar nicht will. Ich weiß, dass mir das nicht gut tut, was ich mache. Oft weiß ich auch, dass es anderen weh tut. Und doch mache ich es immer wieder. Andere verletzten, enttäuschen.“

Frau Schmitt überlegt einen Augenblick, ob sie ihre Enkelin fragen sollte, was die denn Schlimmes getan hätte. Aber dann schweigt sie lieber.

„Und wenn es einen Gott gibt: der kann mich doch gar nicht lieben. Bei dem ganzen Mist, den ich baue... Entweder Gott merkt’s nicht, weil er mich nicht kennt. Oder Gott muss stinksauer auf mich sein, so wie Mutti manchmal.“

Jetzt muss Frau Schmitt doch fragen: „Was hast du denn Schlimmes angestellt?“ Und es passiert das, was sie eigentlich hätte wissen müssen: Thea platzt der Kragen. „Ach Mensch, Omi! Ihr versteht mich einfach nicht!“ Sie zischt es mehr im Gehen und zieht sich in das Zimmer zurück, das Frau Schmitt immer für sie zurecht macht, wenn sie kommt.

Später, am Abend, hat Frau Schmitt eine Idee. Nach dem Abendbrot fragt sie ihre Enkelin: „Hast du Lust, dich auf etwas einzulassen?“ „Kommt drauf an, worauf.“

Frau Schmitt legt ihr einen Bogen Papier und einen Stift hin. „Nimm das Papier! Auf den Bogen schreibst du alles, was dir einfällt. Alles, was du meinst, dass du es falsch gemacht hast. Alles, warum du selbst sauer auf dich bist. Alles, warum du denkst, dass Gott sauer auf dich sein könnte. Ich verspreche dir, dass es kein Mensch lesen wird, wenn du es nicht willst.“

Für so was ist Thea zu haben, das weiß Frau Schmitt.

Nachdenken tun diese jungen Leute ja. Manchmal mehr als sie verstehen können. Und Thea beginnt zu schreiben. Fast eine halbe Stunde sitzen sie so da. Dann faltet Thea das Blatt zusammen. Und nun schaut sie Oma mit fragenden Augen an.

Und jetzt erzählt Oma ihr, was ihr eingefallen war: „Weißt du damals in Israel, da gab es einen Brauch. Der Hohepriester – das war der, der vor Gott für die Menschen eintrat – (der Predigttext vom Sonntag erzählt davon).

Der Hohepriester nahm einmal im Jahr einen Ziegenbock, und symbolisch –mit Handauflegung – übertrug er ihm alles, was das Volk falsch gemacht hat.“

„Was soll das denn?“, knurrt Thea.

„Der Bock wurde dann in die Wüste geschickt.“

Jetzt hellt sich Theas Miene auf: „Klar, dann war er weg, und mit ihm der ganze Mist.“ Ein Sündenbock!

„Genau“, sagt Frau Schmitt. „Und dann kann man wieder neu anfangen.

„Und jetzt willst du meinen Zettel einem Ziegenbock aufbinden?“

„Überleg selbst, was du mit dem Zettel machst!“

„Na, einen Hohepriester gibt’s doch nicht mehr. Soll ich den Zettel etwa dem Pfarrer geben? Ich bin doch nicht blöd!“

Frau Schmitt widersteht der Versuchung, lang und breit darauf zu reagieren. „Bis du eine Idee hast, kannst du ihn ja in deine Tasche stecken, damit niemand ran kommt.“, sagt sie nur.

Als sie am nächsten Morgen zum Gottesdienst gehen, weiß Frau Schmitt, dass Thea ihren Zettel bei sich hat. Und sie merkt, wie die Konfirmandin auf einmal aufmerksam wird, als dieser eigenartige Predigttext verlesen wird. Und auch Frau Schmitt hört ihn noch einmal ganz anders:

Vielleicht auch etwas verständlicher, in der Übersetzung der Guten Nachricht:

Jesus, unser Oberster Priester, tritt bei Gott für uns ein

14 Lasst uns also festhalten an der Hoffnung, zu der wir uns bekennen. Wir haben doch einen überragenden Obersten Priester, der alle Himmel durchschritten hat und sich schon bei Gott, im himmlischen Heiligtum, befindet: Jesus, den Sohn Gottes.

15 Dieser Oberste Priester ist nicht einer, der kein Mitgefühl für unsere Schwächen haben könnte. Er wurde ja genau wie wir auf die Probe gestellt – aber er blieb ohne Sünde.

16 Darum wollen wir mit Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten. Dort werden wir, wenn wir Hilfe brauchen, stets Liebe und Erbarmen finden.

Als Thea am Nachmittag noch einmal allein raus will, ahnt Frau Schmitt, dass sie in die leere Kirche gehen würde.

Und sie schweigt am nächsten Tag, als ihr eine Frau aus der Gemeinde ganz entrüstet erzählt, dass man vor dem großen Kreuz in der Kirche die Asche von einem verbrannten Papierstück habe wegräumen müssen.

Und Frau Schmitt?  Sie weiß nur, dass sie an diesem Wochenende eine Menge von ihrer Enkelin gelernt hat.

Amen.

Segen

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