Gottesdienst am 9. Sonntag nach Trinitatis (17. August 2014)

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer
Jörg Mahler

"Das Ziel aller Dinge"

Predigttext: 1.Petrus 4,7-11

Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn »die Liebe deckt auch der Sünden Menge« (Sprüche 10,12). Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“. So beginnt unser heutiger Predigttext. Manch einer möchte dem Apostel Petrus rechtgeben: Schaun wir uns den Vormarsch der Milizen des „Islamischen Staates“ in Syrien und Irak an, die Raketen zwischen Israel und Palästina oder die heftigen Kämpfe in der Ostukraine: Wir leben gerade in einer Zeit, in der es gleichzeitig so viele bewaffnete Konflikte zu geben scheint wie schon lange nicht mehr. Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.

Petrus ist aber kein Weltuntergangsprediger. Im Gegenteil: Ich stelle mir ihn voll froher Erwartung vor. Das griechische Wort für Ende, „telos“, lässt sich auch mit Ziel übersetzen. Dann heißt es: Es ist aber nahe herbeigekommen das Ziel aller Dinge. Das klingt doch viel freundlicher. Diesem Ziel gehen wir entgegen. Das Ziel aller Dinge, das meint das, worum wir jedes Mal im Vater Unser bitten, wenn wir sprechen: „Dein Reich komme!“. Petrus blickt aufs Ziel, auf das Reich Gottes, in dem so einiges anders sein wird. Und deshalb schließt er diesen Absatz auch mit einem großen Lob Gottes ab: Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Der Anfang und das Ende dieses Abschnitts gehören zusammen, und sie sind wie ein Rahmen um die Mitte. Sicherlich kennen sie die prunkvollen Bilderrahmen aus der Zeit des Barock, aus Gold und kunstvoll verschnörkelt. Allein dieser Rahmen gibt dem Bild in der Mitte eine ganz besondere Bedeutung, einen besonderen Glanz. So einen Rahmen legt Petrus um seine Worte und um unsere Welt. Dieser prunkvolle Rahmen ist die Perspektive, aus der wir unsere Gegenwart anschauen: Das Ziel aller Dinge, das Reich Gottes, scheint hinein, (und das Lob Gottes erklingt über ihn.)

Petrus weiß, dass Gott dieses Reich aufrichten wird, dass sein Lob einmal alles erfüllt. Und deshalb gibt er nun in der Mitte seines Textes der Gemeinde vier Ideen weiter, wie unser Leben bis zum Kommen des Gottesreichs aussehen kann, ja wie Gott sein Reich schon mitten in der Welt Stück für Stück durch uns aufrichten will.

Seine erste Idee: So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.

Beim Wort „nüchtern“, da denke ich zuerst an jemanden, der etwas zuviel Alkohol getrunken hat, den Gehweg entlangschwankt und etwas lallt, dem man kaum einen Sinn abgewinnen kann. Derjenige ist dann genau das Gegenteil von nüchtern, nämlich besoffen. Nüchternheit ist aber nicht nur das Gegenteil von Rausch. Wer schonmal im Krankenhaus war, der weiß, dass er vor der Operation nüchtern sein muss und nichts essen darf. Wer nüchtern ist, dessen Geist arbeitet konzentrierter, und der Körper ist wacher. Das läßt sich mit Petrus aufs Gebet übertragen: Seid nüchtern zum Gebet. Sprecht ein Gebet so, dass es nicht nur aus dem Mund, sondern auch aus dem Herzen und aus dem Verstand kommt. Zum Beispiel beim Vater Unser im Gottesdienst spricht man manchmal einfach automatisch mit, ohne dass man sich klarmacht, was man da betet. Nüchtern beten meint konzentriert beten, auf den Punkt kommen. Manchmal sind nicht viele Worte nötig. Wobei ich auch das andere kenne: Da erzähle ich Gott einfach, wie es mir geht, und durchdenke im Gebet die Herausforderungen, vor denen ich stehe. Auch das ist nüchternes Beten. Beim Beten nehmen wir Gott mit ins Leben hinein, und wir bleiben offen für sein Wirken in unserem Leben und in unserer Welt, wir bleiben offen für Überraschendes.

Ein amerikanisches Hotel hatte einmal einen neuen Boy, also Zimmerjungen, angestellt. Er sollte an seinem ersten Tag an den Zimmertüren klopfen, nicht zu leise, damit man es hört, und nicht zu laut, damit die Leute nicht gestört werden. Und er sollte sagen: „My Lord, it is the boy“, mein Herr, es ist der Bursche. Und dann sollte er nach den Wünschen der Gäste frragen. Er stand vor der 1.Tür und klopfte. Er dachte: ich habe wohl zu leise geklopft. Also noch ein Versuch. Doch diesmal war es wohl zu laut. Von Drinnen ertönte eine grimmige Stimme: Wer ist da? Total erschrocken stammelte er: „It ist he Lord, my boy!“. Es ist der Herr, mein Junge. In seiner Aufregung hatte er die 2 Worte vertauscht. Diese Geschichte zeigt, dass unser Lord, der Herr, anklopft, dass er sich zeigt und bemerkbar macht im Leben. Wer betet, der ist nicht überrascht, wenn der Lord vor der Tür steht. Er rechnet mit Gott, der bleibt offen für sein Wirken in unserem Leben und in unserer Welt.

Und noch eine größere Tiefe liegt im Gebet: Wer betet, der hat einen sichereren Stand im Leben. Denn der hat mehr Hoffnung, gerade wenn Dinge im Leben wegbrechen. Er weiß, dass da noch ein anderer wirkt, dass es doch noch zu einem guten Ende kommen kann, und wir letztlich in seiner Hand geborgen sind. Wer nicht betet, der hat dieses innere Fundament nicht. Das Gebet trägt Hoffnung und Zuversicht in die Welt – dass alles bei Gott in guten Händen liegt. Genau darin zeigt sich das Reich Gottes: Hoffnung, Zuversicht, Geborgenheit – weil Gott gegenwärtig ist. Also: Seid nüchtern zum Gebet!

Ich komme zur zweiten Idee des Petrus: Habt untereinander beständige Liebe; denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge.

Liebe, Zuneigung ist mit das Wichtigste im Leben. Sich geborgen und wertgeschätzt fühlen. Liebe macht auch bereit zur Vergebung, zur Versöhnung und zum Neuanfang. Ich kenne ein Ehepaar, bei denen die Frau meist ihren eigenen Willen durchsetzt, obwohl ihr Mann ganz andere Träume vom Leben hat. Manchmal leidet er darunter, aber seine Liebe zu ihr ist so stark, dass er es in Kauf nimmt. Da erweist die Liebe ihre Kraft: Die Liebe zu ihr lässt ihn mit dem Mangel leben. Er hält trotz Enttäuschungen an ihr fest. Einer, der das auch tat, und zwar wie kein anderer, ist Gott selbst. Wir Menschen haben ihn so oft enttäuscht, und trotzdem hält er an uns fest, und lässt es sich sein Liebstes kosten. Was Petrus sagt, trifft also nicht nur auf Menschen, sondern vielmehr noch auf Gott selbst zu: Die Liebe deckt auch der Sünden Menge.

Es ist ein Zeichen von Liebe, wenn einer trotz allem, was vielleicht geschehen ist, am anderen weiter festhält. Aber zur Vollendung kommt die Liebe erst dann, wenn Versöhnung geschieht. Leider liegt es ja in unserer Mentalität, eher auf Distanz zu gehen, wenn die Beziehung zu einem Menschen in eine Krise geraten ist. Versöhnung aber funktioniert so, dass einer den ersten Schritt auf den anderen zu macht, dass im Gespräch geklärt wird, was vorgefallen ist, welche Nuancen der Konflikt trägt, die bisher nicht auf den Tisch lagen. Und ein „Es tut mir leid!“ und „Ich entschuldige mich“ gehört genauso dazu.

Wo wir Versöhnung leben, wo wir lieben, so dass die Sünde zugedeckt wird, da haben wir Anteil am Reich Gottes. Und auch da, wo wir das Dritte tun, was Petrus rät:

Seid gastfrei untereinander ohne Murren.

Gastfreundschaft haben wir alle schon erlebt: Man kommt zu Menschen, die einen freundlich hereinbitten und gut bewirten. Das können Freunde sein, oder auch einmal völlig Unbekannte, beispielsweise im Urlaub.

Die Rödentaler haben in der Vergangenheit viel Gastfreundschaft gezeigt. Daran erinnern uns Straßennamen wie Ostpreußenstraße, Danziger Straße, Siebenbürgerweg, Banaterweg und andere: Nach dem Krieg kamen die Flüchtlinge und fanden hier eine neue Heimat. Ich habe erst neulich wieder von einer Frau aus dem Sudetenland gehört, wie sehr sich der damalige Bürgermeister dafür eingesetzt hat, dass Unterkünfte entstehen, und der dann die Flüchtlinge auch ermutigt hat, eigene Häuser zu bauen. Viele Altoeslauer standen den Neuankömmlingen mit Rat und Tat zur Seite. Später kamen die Siebenbürger und Banater, und dann ab den 90-ern viele Russlanddeutsche. Alle wurden sie hier aufgenommen und die meisten gut integriert.

In unserem letzten Gemeindebrief hat sich ihnen die Familie Mehmeti vorgestellt, die aus dem Kosovo kommt und hier Asyl beantragt hat. Ich war bei Ihnen zu Hause eingeladen, und habe gesehen, wie hilfsbereit die Nachbarschaft war: Alle Möbel wurden ihnen geschenkt, der eine hatte ein Bett übrig, der andere ein Regal. Genauso wie Tassen und Teller und Besteck. Das ist Gastfreundschaft. Und auch die beiden sind gastfreundlich: Sie freuen sich über Besuch, und sie helfen ja ehrenamtlich auch im Gemeindezentrum kräftig mit.

Gastfreundschaft, das hat auch immer eine politische Dimension.  Gastfreundlich sein heißt, Verantwortung für diejenigen zu übernehmen, die ein Gast-Haus brauchen, eine sichere Unterkunft auf Zeit. Ich denke gerade besonders an die Flüchtlinge im Irak, Jesiden und Christen. Für deren Schutz setzen sich auch unsere Politiker ein. Am besten ist es natürlich, sich für Schutzzonen vor Ort stark zu machen. Aber eventuell werden wir nicht umhinkommen, auch den ein oder anderen auf Zeit in Deutschland aufnehmen. Beides sind für diese Menschen Zeichen der Gastfreundschaft aus der Ferne. (Diejenigen, die selbst einen Flüchtlingshintergrund haben oder Betroffene kennen, die sehen die Dinge mit anderen Augen.)

Seid gastfreundlich ohne Murren, so Petrus. In euren eigenen Wohnungen und Häusern, und in eurem Land.

 Und schließlich die vierte Idee des Petrus, wie Gottes Reich auch durch uns wachsen kann: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.

Hier gibt es natürlich eine riesige Menge an Beispielen dafür, mit welchen Gaben und Fähigkeiten Gott uns ausgestattet hat. Jeder hat seine ganz eigenen Begabungen. Jeder kann etwas ganz besonders gut. Der eine ist handwerklich begabt, kann alles selbst reparieren. Dafür ist er in Behördendingen und Dokumenten eine Niete, was wieder eine andere ganz besonders gut kann. Zum Glück sind wir Menschen keine Einzelkämpfer sondern leben in Gemeinschaften: im Ort, in der Nachbarschaft, im Verein, in der Kirchengemeinde. Überall dort, wo Menschen zusammenkommen, dort kommen auch die verschiedenen Gaben zusammen. Und so können Herausforderungen gemeinsam angegangen werden: Man kann sich Hilfe holen, und ist selbst bereit, Hilfe zu geben. Petrus nennt uns „Haushalter“ der Gnade Gottes. Ein guter Haushalter schaut darauf, was sein Haushalt braucht, und bringt das ein, wenn er es hat. Das ist die rechte Haltung eines Christen.

Liebe Gemeinde!

Wir haben uns nun die vier Ideen des Petrus näher angeschaut. Petrus hat keine originellen, neuen Ideen. Vielmehr greift er auf Altbewährtes zurück und will es neu einprägen: weil es sich eben bewährt hat und zum Ziel führt. Ich blicke nun noch einmal den prunkvollen Rahmen an: „Es ist nahe herbeigekommen das Ziel aller Dinge“, schreibt Petrus. Hat er recht oder unrecht? Er hat wohl damit gerechnet, dass Gott seine gute Herrschaft früher durchsetzt auf Erden, dass es nicht 2000 Jahre und länger dauert. Gleichzeitig aber hat er auch recht: Denn das Gottesreich, das Ziel, es leuchtet mitten in unserer Welt immer wieder auf: Da wo Menschen sich ihrem Gott im Gebet anvertrauen, da wo die Liebe Streit und Schuld zudeckt und überwindet, da wo Fremde willkommen geheißen werden, da wo wir einander dienen mit je unseren eigenen Gaben. Da scheint das Reich Gottes auf. Da leuchtet nicht nur der prunkvolle Rahmen, sondern da entstehen viele Leuchtpunkte mitten drin. Mit den Worten des Petrus gesprochen: Da wird Gott gepriesen durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

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