Gottesdienst am 14. Sonntag nach Trinitatis in St. Johannis und Oberwohlsbach - 06.09.2015

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OWB, St. Johannis:

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Die 10 Aussätzigen"

PREDIGTTEXT

Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

 Gnade sei mit euch, und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 1. Not lehrt beten.

Sicher kennen sie alle diese alte Volksweisheit, liebe Gemeinde: Not lehrt beten. In der Not greift der Mensch nach dem letzten Strohhalm, der Rettung verspricht. Hände, die fast schon verlernt haben, sich zum Gebet zu falten, finden zueinander. Aus der Tiefe der Seele steigt eine Art SOS-Ruf, ein Notruf zu Gott. Menschen, die jahrelang ihr Leben selbst gemeistert haben, wenden sich in ausweglosen Situationen an ihren Schöpfer. Sie hoffen auf etwas, das Menschen nicht möglich scheint. Da ist eine Frau, bei der Krebs festgestellt wurde. Bisher hatte sie mit dem Glauben wenig zu tun, aber nun betet sie zu Gott und hofft auf Heilung. Auch bei der Jugend trifft dieses Sprichwort zu: Ein cooler Typ weiß, dass diese eine Schulaufgabe entscheiden wird, ob er durchfällt und das Schuljahr wiederholen muss oder nicht: Bitte Gott, lass es eine vier werden!

 2. Ausgrenzung und Zuwendung

Not lehrt auch die 10 Aussätzigen unserer heutigen Geschichte die letzte Möglichkeit ausprobieren. Sie wenden sich an Jesus. Denn was nach damaligem medizinischen Wissen und Können möglich war, hatten sie längst versucht. Aber es war umsonst gewesen. Die Lepra breitet sich in ihren Körpern immer mehr aus. Sie sind hoffnungslose Fälle. Obwohl sie noch leben, sind sie schon so gut wie tot. Alles, was das Leben lebenswert macht, ist für sie unwiederbringlich zu Ende: Sie mussten Heim und Familie verlassen. Die Dorfgemeinschaft hat sie ausgestoßen, niemand gibt ihnen Arbeit. Betteln müssen sie, um überleben zu können. Selbst ihr Glaube kann sie nicht trösten, denn sie dürfen am Gottesdienst nicht mehr teilnehmen, weil sie durch ihre Krankheit als unrein gelten. Sie sind in alte Lumpen gehüllt, tragen ein Tuch über Mund und Kinn. Und sie müssen jeden vor sich warnen. Wenn sich jemand nähert, so rufen sie: „Aussatz! Aussatz!“. Wir können uns kaum vorstellen, wie sich diese 10 Menschen gefühlt haben, die sich da außerhalb der Stadt zusammengefunden haben, um ihre Not miteinander zu teilen.

Bei uns in Deutschland gibt es zwar keine Lepra, aber trotzdem werden Menschen manchmal wegen einer Krankheit oder Behinderung ausgegrenzt werden. Zum Beispiel Aids: Betroffene erzählen, dass gute Freunde und Verwandte plötzlich den Kontakt abbrechen. Oder manche Eltern wollen ihren Kindern den Anblick von Behinderten ersparen. Eine Mutter sagte zu ihrer Tochter im Linienbus, in deren Nähe ein behindertes Kind saß: „Schau da nicht hin, das ist unter deinem Niveau.“. Zum Glück kommt das nur selten vor. Andere Arten der Ausgrenzung sind da schon häufiger: Der Mitschüler, mit dem keiner Kontakt haben will – auch deswegen, weil, wenn man mit ihm etwas unternehmen würde, man von den anderen selbst auch mit ausgegrenzt würde. Die Arbeitskollegin, die keiner leiden kann, die Vorurteile, die man gegenüber Ausländern hat, oder der seltsame Nachbar, mit dem keiner redet, sondern nur über ihn. Die Mechanismen, die dahinter stehen, sind oft ganz einfach zu durchschauen. Es geht um Gruppendynamik: Eine Gruppe fühlt sich zusammengehörig und stark, wenns ein Gegenüber gibt, von dem man sich abgrenzt. Und bei den Ausländern kommen noch Verlustängste hinzu: Sie könnten uns unsere Jobs wegnehmen. Wer die Zeitung liest weiß aber auch, dass die Wirtschaft darauf hinweist, dass in den nächsten Jahren viele zusätzliche Arbeitskräfte in unserem Land gebraucht werden.

Zu den 10 Ausgestoßenen unserer Geschichte hat sich herumgesprochen, dass Jesus in Kürze auf dieser Landstraße vorbeikommt. Es heißt, er sei ein Mann Gottes, und er hätte schon vielen Menschen aus ihrer Not geholfen. Gott selbst soll in ihm wirken. Nein, da fackeln die 10 nicht lange. Als sie ihn kommen sehen, da rufen sie von Ferne so laut wie sie nur können: „Jesus, erbarme dich unser!“. Sie klammern sich an die letzte Rettungsmöglichkeit. Die Not hat sie nach Gott rufen gelehrt. Jesus hört und sieht die Aussätzigen. Seine Jünger wollen ihn vielleicht abhalten, ihnen zu nahe zu kommen. Aber geht auf sie zu. Und spricht zu ihnen: „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“.

Die 10 werden sich da gewundert haben! Bestimmt sind sie auch ein Stück enttäuscht. Warum heilt er sie nicht, so wie man sich von ihm erzählt? Aber trotzdem gehen sie auf sein Wort hin zu den Priestern, hoffend, dass doch noch alles gut wird.

Sonst heilt Jesus doch Kranke auch an Ort und Stelle, wie z.B. den Gelähmten am Teich Bethesda in Jerusalem! Warum nicht diese Aussätzigen? Jesus weiß, dass er ihnen nicht helfen würde, wenn er sie nur gesund macht. Sie müssen wieder in die Gesellschaft integriert werden, wieder Beziehungen zu anderen Menschen aufbaun. Die Priester damals waren die Oberen der Gemeinde. Sie alleine haben zu entscheiden, wer wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Deshalb schickt Jesus sie zu den Priestern. 

Die Kirche entscheidet heute nicht wie damals die Priester, wer zur Gesellschaft gehören darf. Aber trotzdem hat die Kirche die Aufgabe, da laut zu werden, wo Menschen egal aus welchen Gründen ausgegrenzt und links liegen gelassen werden. Neulich wurde mir zugetragen, dass manch einer nicht damit einverstanden ist, dass wir uns als Gemeinde für die Flüchtlinge engagieren. Wir als Kirche entscheiden nicht über Asyl, aber wir sehen Menschen in Not, und nehmen uns ihrer an: So wie Jesus die geheilt hat, die zu ihm kamen, und so wie er es uns aufgetragen hat - denken wir nur ans Evangelium vom letzten Sonntag vom barmherzigen Samariter, wo es hieß: Gehe hin und tue desgleichen.

Aber nicht nur die Kirche als Institution ist gefordert, jeder einzelne von uns ist aufgerufen, auf Menschen, die draußen stehen, zuzugehen. Auf den Klassenkameraden, der einsam ist und geschnitten wird, auf die Kollegin, die die Frühstückspause allein verbringen muss. Auf den Nachbarn, den keiner mag. Jesus ist einer, der Menschen, die herausgefallen sind, wieder in die Gemeinschaft integriert.

Hans Köbler dichtet dazu in seinem Lied, das wir nach der Predigt singen werden: „Du schenkst uns Zeit, einander zu begegnen, dass wir uns lieben und einander segnen.“. Einander lieben und einander segnen. Oft bewirkt ein klein wenig unserer Zeit und Aufmerksamkeit für andere Wunder. Und wenn wir uns für andere Zeitnehmen, so werden wir merken, dass auch immer wieder etwas Positives zu uns selbst zurückkommt.

3. Krankheit und Heilung

Und es geschah, als sie hingingen, da  wurden sie rein.“. Toll, beeindruckend! So kennen wir unseren Herrn. Er heilt die Aussätzigen. Die Priester konnten daraufhin ihr OK gegeben, und die 10 dürfen zurück in ihre Dörfer, zu ihren Familien und Freunden, zu ihrer Arbeit und zu einem normalen Leben. Die Geschichten in den Evangelien sind Geschichten des Lebens, die Mut und Zuversicht schenken. So ist Gott!

Die 10 wurden gesund. Und bei uns? Wenn wir beten? Nicht immer kommt die erwünschte Wendung. Trotzdem, und das sage ich nicht von oben herab, sondern a.G. der Lebenserfahrungen vieler Christinnen und Christen auch in unserer Gemeinde, trotzdem gibt da, wo nicht alles gut wird, das Kreuz die Kraft, den eigenen Weg weiterzugehen, manchmal sogar im Ringen gegen und mit Gott, und der Mensch wird doch gestärkt wie Jakob am Fluss Jabbok. Oder Gott tut ganz neue Türen und Wege auf.

Und doch passiert es auch öfter als wir uns bewußt machen, dass man doch wieder gesund wird, dass die Not sich wendet. Oft hat man dabei zuvor gedacht: Da hilft nur noch beten. Und dann ist ein medizinischer Eingriff widererwarten geglückt, hat ein Medikament angeschlagen oder hat ein Gespräch aus der inneren Not geholfen. In der Schulaufgabe war es sogar eine drei, und ich habe das Schuljahr doch geschafft.

Und dann? Dann heißt es: Glück gehabt, dass mich dieser fähige Arzt behandelt hat, Glück gehabt, dass die richtigen Fragen drankamen.

4. Dank

Glück gehabt, statt Gott sei Dank. Da ist unsere Geschichte wiederum sehr lebensnah. Nur einer der zehn kehrt um und preist Gott mit lauter Stimme. Und das war ein Fremder, ein Samariter.

Heute ist es wie damals: Nur einer von 10, die in ihrer Not zu Gott gerufen haben, denkt daran, ihm auch für die Bewahrung und Rettung zu danken. Doch woran liegt das? Eigentlich kann ich das gut nachvollziehen: Da freut man sich, nachdem alles gut ausging, trifft Bekannte und Freunde wieder, stürzt sich in die Arbeit, die nachgeholt werden muss. Man hat soviel zu tun, dass vielleicht auch einfach die Stille fehlt, um an Gott zu denken. Leider müssen wir oft unser Sprichwort ergänzen: Not lehrt beten, aber Rettung lehrt nicht Danken. Jedes Stoß- und Notgebet in Krankenhäusern oder zu Hause muss sich daran messen lassen, ob es nach der Entlassung oder Heilung eine Fortsetzung findet. Nur der, der zugleich mit der Heilung oder Tröstung den Blick zu Gott wendet, der hat den Weg des Glaubens beschritten, und zu dem kann Jesus am Ende sagen: Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!

Die Neun sind gewiss auch froh und glücklich, dass sie wieder gesund geworden sind, dass sie wieder ein „normales Leben“ führen können. Aber die Frage ist: Sind sie auch andere Menschen geworden, haben sie bei ihrer Heilung auch Gott als den erkannt, dem allein die Ehre gilt? Wenn uns Jesus hier auf „Gottes Ehre“ hinweist, dann steht dahinter die dringende Anfrage an uns, ob der moderne Mensch vor lauter Gier nach Leben das wirkliche Leben verpasst, wie es in Christus erschienen ist! Ob wir bereit sind, uns von Gottes Wort so in Bewegung setzen zu lassen, dass wir „umkehren und hingehen“ zur Quelle des Lebens, die allein Heil und Heilung bringt, für uns selber und für andere Menschen.

Hanns Köbler dichtet in einem anderen Vers seines Liedes: „Du schenkst uns Zeit, damit wir uns besinnen, und, wenn es nötig, Neues auch beginnen.“. Du schenkst uns Zeit, damit wir uns besinnen. Nehmen wir uns doch diese Zeit für Gott von der großen Lebenszeit, die er uns schenkt. Denn: Aus der Ruhe kommt die Kraft! Denken wir in stillen Momenten auch an all das Gute, das uns jeden Tag neu geschenkt wird, an Essen und Trinken, an schöne Erlebnisse und gute Gespräche. Und danken wir ihm dafür. Wenn wir so aus der Stille leben, bekommen wir auch den Blick für die anderen. Das ist der Weg des Glaubens, und so zu leben, dankend, bittend, einander dienend, das möge Gott einem jeden von uns schenken. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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