Gottesdienst am 10. Sonntag nach Trinitatis in St. Johannis (Israelsonntag) - 9. August 2015

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St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Gott wird abwischen
alle Tränen"

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde, der Bibeltext der uns für heute vorgeschlagen ist, steht im Lukasevangelium im 19. Kapitel, die Verse 41 – 48. Eigentlich sind es zwei Geschichten.

Jesus weint über Jerusalem

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.

Die Tempelreinigung

Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.

Liebe Gemeinde,

der zweite Sonntag im August ist der Israelsonntag. In den Augusttagen gedenkt die israelische Gemeinde der Zerstörung Jerusalems 71 nach Christus. Der jüdische Krieg endete mit der Vertreibung der Juden aus Palästina und der Zerstreuung in alle Welt. Seitdem grüßen sich die Juden oft mit den Worten: Nächstes Jahr in Jerusalem. Die Hoffnung auf eine Rückkehr hat sie fast zweitausend Jahre getragen und dann wurde es 1948 wahr. Seitdem gibt wieder einen Staat Israel mit der Hauptstadt Jerusalem. Das ist ein ganz großes Geschenk. Jahrhunderte lang hätte es niemand für möglich gehalten, dass die Juden zurückkehren können, aber dann wurde es Wirklichkeit und heute verehren die Juden Gott an der Klagemauer, einem Teil der einstigen Umfassungsmauer des großen Tempels.

Den Tempel gibt es nicht mehr es wird ihn wohl nie mehr geben.

Oben auf dem Tempelberg stehen der Felsendom und die Al Axa Moschee, zwei wichtige Heiligtümer des Islam.

Drei große Weltreligionen haben ihre Heiligtümer in Jerusalem:
Die Juden beten an  der Klagemauer, die Muslime haben den Felsendom und die Christen die Grabeskirche, bzw. Auferstehungskirche.

Drei Buchreligionen, die auf der gleichen Basis stehen, der gemeinsame Stammvater Abraham verbindet uns. Juden, Muslime und Christen sind Kinder Abrahams.

Im Mai waren Mitglieder unserer Kirchengemeinde zu einer Reise nach Israel aufgebrochen. Im neuen Gemeindebrief haben sie davon berichtet. Von ihren Besuchen an all den Stätten die wir aus der Bibel kennen wurde berichtet. Beeindruckend,  und ich erinnere mich gerne daran, dass vor vielen Jahren auch mal dieses faszinierende Land bereist habe, bereisen durfte.

Jerusalem dann, der Höhepunkt jeder Pilgerreise ins Heilige Land.

Eigentlich müsste Jerusalem eine Stadt des Friedens sein, als der Ort ist allen Buchreligionen, allen Religionen die sich auf den gemeinsamen Stammvater Abraham berufen heilig. Im Volksmund wird Jerusalem auch mit „Stadt des Friedens“ übersetzt.

Aber das ist sie nicht. Überall  in Jerusalem sieht man Soldaten mit Maschinengewehren, Panzer und Waffen. Überall Checkpoints, Kontrollen und Bethlehem, auf palästinensischen Gebiet gelegen, ist von einer Mauer umgeben.

Acht Meter hoch ragen massive Betonquader in den Himmel über Bethlehem. Die Geburtsstadt Jesu ist im Zangengriff von Mauer, Stacheldraht, Überwachungskameras und einer flughafenähnlichen Grenzanlage.

„Und als er nahe kam, sah er die Stadt (Jerusalem) und weinte über sie“. So beginnt unser Predigttext.

Trauer damals. Trauer heute angesichts der aktuellen politischen Lage, einer Stadt, einem Land des Unfriedens. Und dabei ist es müßig, irgendeinem der „Lager“ die Schuld zu geben. Den radikalen Siedlern in Israel oder den Bombenwerfern der  Hammas. Sie alle unterliegen dem fatalen Trugschluss, dass durch Gewalt Frieden entstehen könne.

Soviel Hoffnung verknüpft sich mit Jerusalem, aber Extremisten auf allen Seiten machen aus der Stadt des Friedens eine Stadt des  Unfriedens.

In der Lesung haben wir den Text über das neue Jerusalem gehört (Off. 21). Gilt denn Gottes Verheißung des himmlischen Jerusalems noch? Oder bleibt uns nur weinen, Klage, Trauer über die verpassten Chancen auf Frieden, auf Versöhnung, auf Gerechtigkeit?

Bleibt uns nur wehklagen über Jerusalem, weinen aber auch über das Not und Elend auf der ganzen Welt, weinen auch über uns/mich selbst. Über die  verpassten Gelegenheit selbst für Friede, Versöhnung, Gerechtigkeit einzutreten.

Ich bin da selbst mittendrin, weine mit Jesus über das Schicksal der Welt.

Manchmal bleibt uns nur das. Die Klage. Die hat seine Zeit. Sicher.

Damit müssen wir aber nicht stehenbleiben, uns einrichten in entweder einen resignativen, weinerlichen Fatalismus: „Die Welt ist eben schlecht….man kann ja doch nichts machen, was soll ich kleiner Mensch da tun…..

Oder uns flüchtet in Ablenkungen, „Ich will Spaß….“, Unterhaltung, Shoppen… was geht mich die Welt an, nach mir die Sintflut.

Da ist es gut, dass unser Predigttext da noch diese zweite Geschichte, die von der Tempelreinigung beinhaltet. 
Denn Jesus bleibt nicht in der passiven Klage, in der Trauer, im Weinen stehen.

Die Klage weicht seiner Wut. Nein, Gottes Botschaft lässt sich nicht zum Schweigen bringen, lässt sich auch nicht überdecken mit allerhand Business.

Jesus räumt den Tempel auf, legt den Zugang zu Gott erneut frei. Aus Erstarrung wird Aktion. Der Tempel ist der Ort der Gegenwart Gottes, die die Menschen durch das was sie daraus gemacht haben, verstellt haben. Aus dem Tempel wird wieder ein Ort der Lehre und des Gebets.

Den Mächtigen, denen die mit allerhand Geschäften Geld verdienen hat das nicht gefallen.

Die Frage eines Schriftgelehrten was denn nun das höchste Gebot sei hat Jesus ja korrekt beantwortet. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele, von  ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst“.

Dass das aber auch Konsequenzen haben muss, das war dann nicht geplant, bei den Schriftgelehrten.

Die guten Ordnungen, die Gott den Menschen zum Leben gegeben hat, sind zum bloßen Kult verkommen, zu Geschäftemacherei.

Mit der Tempelreinigung macht Jesus klar: Gott ist nicht mundtot zu machen und er macht deutlich: Besinnt euch auf Gott und das Gebet.

Kann das auch ein Weg sein, mit eigenem Scheitern umzugehen?

Ja, ganz bestimmt.

Schauen wir noch einmal zurück in die Geschichte Israels, eingangs habe ich das schon erwähnt, die Zerstörung des Tempels. Jesus konnte das Schicksal Jerusalems, das ja auch sein eigenes war, nicht wenden. Auch seine Anhänger nicht.

Zu verblendet waren die religiösen und politischen  Machthaber. Sie haben Jesus mundtot gemacht. Ja, Jerusalem und der Tempel wurden zerstört.

Aber Gott selbst hat das Schicksal gewendet: Er hat Jesus wieder lebendig gemacht und der Botschaft zu neuer Lebenskraft verholfen. Gott lässt sich nicht mundtot machen!

Und so möchte ich ein Mitstreiter sein, der zusammen mit vielen anderen Mitstreitern, mit euch,  die Botschaft von Gottes Frieden und seiner Gerechtigkeit wach hält und weiterträgt dorthin, wo Ohnmacht und Gewalt die Menschen niederzwingen.

Auch die Trauer und Wut über meine eigenen verpassten Chancen, über meine ungelebten Möglichkeiten möchte ich durch die Kraft Gottes verwandeln lassen in positive Energie, die mein Leben mit Stärke und Hoffnung erfüllt.

Zum Schluss komme ich noch mal auf das heutige Israel und Palästina zurück und auf Jerusalem, die Stadt des Friedens.

Dazu zitiere ich Dr. Yohanna Katanacho. Er ist Palästinenser, Christ und lebt in Nazareth. Und er Theologe und Dekan des Bethlehem Bible College.

Zitat:

„Wir beide, Palästinenser und Israelis) müssen uns wieder auf eine Sprache besinnen, die in Nächstenliebe und nicht in Hass wurzelt, in Mut und nicht in Verzweiflung, in der Anerkennung des anderen, nicht in seiner Dämonisierung, in Vergebung, nicht in Rache. Wir müssen einander die Grausamkeiten vergeben, die wir uns angetan haben. Wir müssen Gebete der Vergebung und der Liebe in unseren Kirchen und Synagogen (und Moscheen, Anm. d. Verf.) verbreiten. Vielleicht werden wir dann wieder in der Lage sein, auf eine bessere Zukunft zuzugehen. Vielleicht können wir dann wieder davon träumen, dass sich Palästinenser und Israelis einmal gegenseitig stärken.“

Gott wird abwischen alle Tränen.

Halten wir an dieser Hoffnung fest!

AMEN

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. AMEN

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