Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis - 29. Mai 2016

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Curanum, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Gott ist die Liebe"

Predigttext: 1. Johannes 4, 16b-21:

Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Liebe Gemeinde! 

Am 14.Mai fand die Endausscheidung zum Eurovision Songcontest statt. Bei diesem Wettbewerb treten Nachwuchstalente aus allen europäischen Ländern und kämpfen mit ihren Liedern um die besten Plätze. Viele haben den Songcontest am Fernseher Live mitverfolgt. Gewonnen hat die Ukrainerin Jamala mit ihrem emotionalen Song „1944“, bei dem sie die traurige Geschichte ihrer tatarischen Urgroßeltern zum Thema machte, die unter Stalin von der Krim vertrieben wurden. Deutschland kam auf den letzten Platz, und auch in so manch anderem Jahr waren wir eher auf den letzten Plätzen dabei. Doch vor 6 Jahren holte die 19-jährige Lena den ersten Preis. Lena sang ein Lied über die Liebe, und damit sind wir beim Thema des heutigen Predigttextes. Ihr Lied trug den Titel „Satellit“. Im Refrain heißt es: 

Liebling, o Liebling, 

ich muss Dir sagen, was ich von Dir denke, 

denn ich, oh ich kann keine Minute ohne dich aushalten. 

Wie ein Satellit umkreise ich dich die ganze Zeit. 

So ist es, wenn man verliebt ist: Die Gedanken sind ständig bei dem anderen. Man umkreist ihn wie ein Satellit die Planeten. Aus Verliebtsein kann Liebe werden. Da sind dann vielleicht die Schmetterlinge im Bauch weg, aber trotzdem ist einem der andere genauso wichtig wie zuvor. Man denkt nicht mehr jede Minute an ihn, aber man weiß, zu wem man gehört, mit wem man durchs Leben geht. Und man kreist weiterhin wie ein Satellit um denjenigen, den man liebt: Er gehört mit ins Zentrum des eigenen Lebens. Wenn ich liebe, dann bin ich nicht allein: da gehört der andere dazu. 

Der Apostel Johannes schreibt in unserem heutigen Briefabschnitt: Gott ist die Liebe. Das ist das Hauptthema des ersten Johannesbriefs. Über die Liebe ist schon soviel gedacht und geschrieben worden, und bestimmt hat schon jeder von uns auch schon versucht, Liebe zu beschreiben und zu erfassen. Lassen wir uns heute auf die Gedanken des Johannes ein, um dem Geheimnis der Liebe näherzukommen. Er sagt: Gott ist die Liebe. Das heißt: Wenn wir wissen wollen, was Liebe ist, dann müssen wir auf Gott sehen. 

Wie ein Satellit umkreise ich dich die ganze Zeit, singt Lena. Und tatsächlich, das gehört zur Liebe, das tut auch Gott: Er umkreist wie ein Satellit unsere Menschenwelt. Wir alle, du und ich, stehen für ihn im Zentrum. Wir stehen für ihn im Zentrum, obwohl er so groß ist, dass aller Himmel Himmel ihn nicht fassen können, obwohl er alles geschaffen hat und ins Leben rief. Wir lesen schon in der Schöpfungsgeschichte, nachdem Gott die Erde und den Menschen geschaffen hatte: Siehe, es war sehr gut. Aus Liebe hat er uns Menschen geschaffen, mit Verstand und vielen Fähigkeiten ausgestattet, als sein Ebenbild, weil der ein Herz und einen Verstand hat, weil der Mensch mit Gott kommunizieren kann, weil der Mensch fähig ist, auch Gott zu lieben. 

Gott ist die Liebe. Von Gott geht alle Liebe aus. 

Die Bibel ist voll von Geschichten, in denen Menschen diese Liebe erfahren, und auch heute schreibt das Leben solche Geschichten. Da erkennt jemand: Es ist nicht selbstverständlich, dass ich genug zu Essen und zu Trinken habe. Das kommt her von Gott dem Herrn, der mich und die Meinen auch in Zeiten der Not mit dem Nötigsten versorgt hat. Menschen erkennen: In diesem Moment bin ich bewahrt worden, es hätte ganz anders ausgehen können. Jemand hat eine schwere Zeit durchgestanden, jemand hat den richtigen Weg gefunden, und beide wissen sie: Das kam nicht aus uns selbst, sondern ist ein Geschenk des Himmels. Ein Mensch, der viele falsche Wege gegangen ist verändert sich und weiß: Gott war es, der mich korrigiert und zur Umkehr geführt hat. Die Spuren von Gottes Liebe finden viele biblische Personen und auch wir immer wieder in unserem Leben. Ich könnte auch sagen: Es sind die Spuren von Gottes Segen. Der Prophet Jesaja kann sich die große Liebe Gottes nicht anders vorstellen als so, dass sie uns schon galt, als wir im Mutterleib bereitet wurden. Von Anfang an kreist Gott um und über unserem Leben. Auch wenn er manchmal verborgen bleibt. 

Bei der Liebe ist es ja so, dass wunderbare Liebesgeschichten entstehen, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht. Es gibt aber auch die einseitige Liebe, eine Liebe, die nicht erwidert wird. Ich bin dankbar dass es in unserer Gemeinde soviele gibt, die diese Liebe Gottes erwidern, die auch Gott in ihr Herz geschlossen haben, oder wie es Johannes sagt: die in Gott sind. 

Das Bild aus Lenas Lied lässt sich auch umkehren: in Gott sein, das kann man auch so beschreiben: Auch unser Leben kreist um Gott, wir sind mit ihm in Kontakt - vielleicht ohne jede Sekunde an ihn zu denken, aber mit einem tiefen Vertrauen im Herzen, dass er gegenwärtig ist und mir zugewandt. 

Und so entsteht eine wirklich himmlische Liebesgeschichte, in der wir mit dem Himmel verbunden sind, und Gottes Liebe erleben, und Gott unsere Liebe hört, sieht und spürt. 

Zur Liebe gehört, auch Interesse an dem zu haben, was den anderen beschäftigt. Wenn ich jemanden liebe, dann interessiere ich mich auch für seine Hobbys und das, was er mag. Vor allem natürlich für seine Familie und seine Freunde. Denn die gehören ja zu dem anderen dazu. Gott hat eine große Familie: Alle, die wir an ihn glauben, gehören dazu und sind seine Kinder. Wenn wir also sagen, dass wir Gott lieben, dann heißt das automatisch: Wir interessieren uns auch für die Familie Gottes, für die anderen Menschen, die auch seine Kinder sind. Der Apostel sagt das ganz deutlich: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner.“. Und weiter: „Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“. Eigentlich braucht es dazu kein Gebot, denn in der Liebe ist das selbstverständlich. Aber der Apostel weiß, dass das nicht immer so funktioniert: Es gibt nuneinmal Menschen, mit denen wir uns schwer tun, die uns enttäuscht oder uns Böses angetan haben. Menschen, mit denen wir lieber nichts zu tun haben wollen. Aber gerade deshalb erinnert uns der Apostel an das Gebot, das Gott schon im AT den Menschen mitgab, und das Jesus nocheinmal deutlich ausgesprochen hat: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ja Jesus sagt sogar: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen. Wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?“ (Mt 5,44.47). 

Das heißt für uns, dass es wichtig ist, wie wir mit den Menschen umgehen, die wir nicht mögen: Geduldiges Ertragen, Verzeihen, Neubeginnen – das ist im Sinne Jesu. 

Nahezu jeder von uns wird eigene Beispiele haben für diese Liebe zu anderen, wenn er in sein eigenes Leben blickt: ein aufbauendes Wort, das wir jemandem sagen, ein Hilfsdienst, das Abgeben eines Fahrrad oder von Möbeln für Familien von Geflüchteten. Als wir in den letzten beiden Wochen in Moskau und Petersburg viel mit der Metro gefahren sind, haben uns immer nette Menschen mit unserem Kinderwagen geholfen, oder sind aufgestanden, damit sich meine Frau mit unserem Sohn setzen konnte - ganz selbstverständlich. Manches, das wir selber tun, ist für uns selbstverständlich. Und doch ist es ein Liebesdienst, der zeigt, wie tief wir in der Liebe verwurzelt sind. Auch Johannes hat Menschen vor Augen, die in dieser Liebe leben, die sich von dieser Liebe bestimmen lassen. Und er schlussfolgert: Wer in dieser Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 

Zur Liebe gehört auch das Leiden. Wer liebt, der kennt auch schlaflose Nächte, weil er überlegt, warum der andere sich so verhalten hat, dieses oder jenes Wort gesagt hat, oder warum er die Liebe nicht erwidert. Und so leidet auch Gott immer wieder an uns. Das Alte Testament erzählt viele Geschichten davon. 

Zum Beispiel als Gott sein Volk Israel aus Ägypten befreit hat und sie durch die Wüste ins Heilige Land führt. Auf dem Berg Sinai will er ihnen seine guten Lebensregeln mitgeben. Als Mose die Gebote auf dem Berg empfängt, gießen die Israeliten aus Gold ein Kalb und beten es an. Den Gott, der sie befreit hat, haben sie verlassen. 

Gott leidet, wenn er merkt, dass wir seine Liebe nicht erwidern, dass wir nicht nach dem Motto des Johannes leben, der sagt: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“. Wenn man unter jemandem leidet, dann kann man auch schnell zornig werden. 

Am Berg Sinai ist so ein Moment, in dem auch Gott in Zorn gerät. Soviel Gutes hat er dem Volk geschenkt, aber sie verlassen ihn. Da 

spricht er zu Mose: „Nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne!“. Und genauso lesen wir bei den Propheten in der Bibel, dass Gott zornig ist, wenn Menschen auf Kosten anderer leben, wenn sie sich nicht um die Schwachen kümmern oder unversöhnlich sind. Das ist eine Seite Gottes, über die wir Menschen gewöhnlich nicht nachdenken wollen: Dass zur Liebe auch Leiden gehört, und dass Gott auch an uns leidet und vielleicht sogar zornig ist über das, wie wir uns oft verhalten. 

Im Zorn sagt man zu dem geliebten Menschen einmal ein böses Wort. Aber eigentlich ist das nur eine Überreaktion aus der momentanen Situation heraus, weil sich die spontanen Emotionen durchsetzen. Eigentlich ist es ja so, dass man den anderen immer noch liebt, immer noch sein bestes will. Gerade deshalb ist man ja zornig. Da kann es helfen, mit dem anderen darüber zu reden, Gott und Mose haben damals miteinander geredet. Die Bibel erzählt: 

Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? 

Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte. 

(2.Mose 32, 11.14). 

Und das ist die große Linie, die sich durch die ganze Bibel zieht: Gott wird zwar manchmal zornig über uns, aber letztendlich siegt sein Erbarmen. Er verzichtet auf Strafe. Ja, er hat sogar seinen Sohn in den Tod gehen lassen und zeigt damit, dass die Liebe siegt. Deshalb schreibt Johannes: „Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts.“. Zuversicht am Tag des Gerichts – das war für viele Menschen damals neu. Bei den antiken Göttern wusste man nie, wie man dran ist. Mit Opfern wollte man sie besänftigen. Johannes steht in der jüdisch-christlichen Tradition und weiß Gott auf unserer Seite, der uns auch im Gericht gnädig und mit verstehender Liebe ansieht. 

Heute hat kaum mehr ein Mensch Angst vor dem Gericht Gottes, wenige denken überhaupt darüber nach, dass sie vielleicht einmal über ihr Leben Rechenschaft ablegen müssen. Aber andere Ängste tragen die Menschen in sich: die Angst vor der Zukunft, die Angst vor anderen Menschen, die Angst vor Krankheit und Einsamkeit. Jedem, der eine solche oder eine andere Angst in sich trägt, sei mit Johannes gesagt: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“. 

Das ist ähnlich wie bei der Liebe zweier Menschen: Sie vertrauen einander. Liebe kann zerbrechlich sein, aber zu ihr gehört keine Furcht, denn sie kennt ein tiefes Angenommensein, eine tiefe Geborgenheit beim anderen, was auch immer kommt. Ich bin geliebt von Gott, er kümmert sich um mich und trägt mich. Ich darf getrost den Weg in die Zukunft gehen. 

Manchmal, da kann es sein, dass wir daran zweifeln, dass wir Gott und seine Gegenwart gerade nicht erleben. Es kann hilfreich sein, dann auf Jesus Christus zu blicken, darauf, wie er uns durch seine Worten und Taten den liebenden Vater zeigt. Es kann hilfreich sein, sich zurückzuerinnern, wie oft er uns seine Liebe schon geschenkt hat, wo er uns schon behütet hat, trotz allem getragen hat, den Weg gezeigt, zur Umkehr geführt und Kraft gegeben hat. 

Ich komme zum Ende: 

Die Sängerin Lena hat uns ein schönes Bild mitgegeben, für das, was Liebe heißt: um jemanden wie ein Satellit kreisen. Und Johannes hat uns gezeigt, wie die Liebe Gottes in uns auf zweierlei Weise zur Wirkung kommt: Einmal darin, dass wir Gott vertrauen, keine Angst vor ihm oder der Zukunft haben, denn wir sind bei ihm geborgen. Und die Liebe Gottes kommt zur Wirkung, wenn wir liebend, vergebend und helfend mit denen umgehen, die zur Familie Gottes gehören. Denn die Liebe zu Gott zeigt sich nicht allein darin, wie oft wir sein Wort lesen oder zu ihm beten. Genausowichtig ist das richtige Verhalten zueinander. 

„Gott ist die Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.“ 

Dazu helfe uns Gott, dass wir zu solchen Satelliten werden, die um ihn, unsern Gott, und um die anderen Menschen kreisen. Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

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