1. Sonntag nach Epiphanias am 10. Januar 2016

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St. Johannis, AWO

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Stellt euch nicht
der Welt gleich"

 

Gnade sie mit euch und Friede, von dem der da war, der da ist und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

wissen sie was ein Säulenheiliger ist? Ein »Säulenheiliger«, so nennt man einen, der es besonders gut meint. Einer, der es übertreibt mit dem Frommsein. So wie Simeon der Säulensteher. Der meinte es mehr als gut mit der Entsagung an die Welt. Er lebte im 5. Jahrhundert. Nicht in einem Haus, auch nicht in einem Kloster, sondern 18 Meter über dem Erdboden. Stehend. Betend. Predigend. Auf einer Steinsäule. 30 Jahre lang, bis er starb, so wird berichtet. Es heißt, dass er nur einmal in der Woche Nahrung zu sich nahm die im mittels eines Seiles hinaufgereicht wurde. Die Menschen strömten von überall her zu seiner Säule. Oft standen Tausende am Fuße der Säule und wollten ihn sehen, bestaunen, seine Predigten hören.

Ich weiß es nicht genau, ich kann mir aber schon vorstellen, dass er unseren heutigen Predigttext aus dem Römerbrief so radikal verstanden hat, dass er tatsächlich seinen Leib als Opfer ansah.

»Gebt eure Leiber hin als Opfer.« »Stellt euch nicht der Welt gleich.« So steht es in  unserem heutigen Predigttext. Vielleicht haben Simeon den Säulensteher diese Worte zu seiner extremen Askese, zu seinem völligen Verzicht und zu seiner Vorstellung eines »vernünftigen Gottesdienstes« angeleitet.

Hören wir den Bibeltext, der uns für heute vorgeschlagen ist:

Textlesung Römer 12,1–3

Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht der Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute tun und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

 Also liebe Gemeinde, doch rauf auf den Kirchturm der St. Johanneskirche um als Rödental Säulenheilige in die Annalen der Geschichte eingehen. Nein, das lassen wir lieber.

Paulus hat ja auch nicht an Asketen in der syrischen Wüste geschrieben, sondern an die Christen und Christinnen der turbulenten Weltstadt Rom. Und die wollte er genauso wenig wie uns in die Wüste schicken. Paulus wollte sie genau dort haben, wo sie lebten, arbeiteten, sich versammelten, Gottesdienste feierten, Familien gründeten, Streitereien lösten, sich um Nächste sorgten, genau dort wollte er sie mit diesen Worten ansprechen. Menschen, die zwar in einer anderen Zeit lebten, die aber wohl im Großen und Ganzen die gleichen Freuden und Sorgen hatten wie wir heute.

Der Brief an die Römer ist dabei so etwas wie die grundlegende Theologie des Paulus. Sozusagen die Essens dessen was Christen ausmacht, was sie glauben, wofür sie stehen, was ihnen gut ansteht und, ganz wichtig, wie Gott zu verstehen ist, sein Sein und sein Handeln.

Wenn wir die wenigen Verse unseres heutigen Textes isoliert betrachten, könnten wir zum Schluss kommen, dass es im gelebten Christentum um die Einhaltung vieler „du sollst“ geht. lauter Imperative geht.

„…gebt eure Leiber hin“,“ lebt heilig, lebt Gott wohlgefällig“ …. „stellt euch nicht der Welt gleich…“, „ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, „haltet euch maßvoll“, ……

Diese Verse isoliert betrachtet, könnten schon den Schluss nahe legen, sich als Asket auf eine Säule zu setzen.

Da ist gut, die vorherigen  Kapitel des Römerbriefs mit einzubeziehen. Dort findet wir nämlich weniger Anordnungen, Befehle, Imperative, sondern viel mehr Beschreibungen darüber wie und was Gott ist, was er für uns ist, wie seine Liebe zu den Menschen die Grundlage für all unser Tun und Lassen ist.

Unser Handeln, ja unser ganzes Christsein ist Folge der Liebe Gottes zu uns. Resultiert, und da knüpfen wir noch mal an das Weihnachtsgeschehen an, resultiert daraus, dass Gott Mensch geworden ist. Und dass dieser menschliche Gott sein Leben für uns gab. Erst aus dieser Erkenntnis, aus dem Annehmen Gottes, macht unser Handeln als Christ Sinn, hat eine Grundlage und damit einen Bezugspunkt.

Gottes Liebe ist zuerst da. Mit den Worten aus dem Anfang unseres Textes „durch die Barmherzigkeit Gottes“, wird genau das ausgedrückt. Die Barmherzigkeit Gottes ist es, die uns dazu anhält, seine Liebe leibhaftig nach außen zu tragen.

Leibhaftig, dieser Begriff bringt uns auch auf die Spur, was denn mit dem, für uns etwas befremdlich klingenden Satz gemeint sein könnte: „…dass ihr eure Leiber hingebt als Opfer…“. Es geht tatsächlich darum, dass wir als einzelne Christen, aber auch als ganze Kirche, Gottes Liebe leibhaftig, also spürbar, greifbar, sichtbar weitergeben.

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie Kirche für andere da ist“, so formuliert das Dietrich Bonhoeffer und er schreibt provozierend weiter:

»Um einen Anfang zu machen, muss sie (die Kirche) alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, eventuell einen weltlichen Beruf ausüben. Kirche muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ›für andere da zu sein‹. Nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft« (Widerstand und Ergebung, DBW 8, Gütersloh, 560).

Ja, das würde unser Gemeindeleben gehörig auf den Kopf stellen. Gewiss provozierend aber wohl auch Nachdenkens wert. Wir sollten da nicht gleich abwinken „Geht ja sowieso nicht……“ Ich vermute, dass diese Art der Askese, des Verzichts eher dem entspricht, was Paulus zum Ausdruck bringen wollte, als die Hingabe das Opfer von Simeon dem Säulensteher.

Opfer, ja, das ist auch noch so ein Wort das heute nicht mehr so ohne weiteres verständlich ist. Wir hören da ehr etwas Negatives mitschwingen  denken an Verzicht, sich Aufopfern, hintanstellen eigener Wünsche und Bedürfnisse. Im biblischen Verständnis ist ein Opfer etwas, das der Sphäre, dem Bereich Gottes übergeben wird.

Wenn es im Bibeltext heißt: Unsern Leib als Opfer hingeben wird, so dürfen wir auch übersetzten: Wir, leibhaftig gehören zu Gott, wir stehen in Gemeinschaft mit ihm.

Den Leib als Opfer hinzugeben das heißt, dass wir es wagen und wagen können, Gottes Liebe in dieser Welt zu bezeugen, weil wir zuerst von Gott geliebt und angenommen sind.

Mich ist das die Kernaussage, die Quintessens unseres heutigen Predigttextes. Noch ein bisschen abstrakt und  allgemein formuliert. Da hilft es uns jetzt noch einmal in den Römerbrief zu schauen und die Verse zu lesen, die unserem Predigttext folgen: Da wird Paulus konkreter und bewahrt uns vor Überforderung. Er schlägt so etwas wie eine Arbeitsteilung vor indem er schreibt:

Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, 
aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
so sind wir viele ein Leib in Christus, ………
und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.
Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er.
Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.
Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er.
Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn.
Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig.
Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Den Leib als Opfer hinzugeben das heißt, dass wir es wagen und wagen können, Gottes Liebe in dieser Welt konkret sichtbar werden zu lassen. Wir können das, weil wir zuerst von Gott geliebt und angenommen sind.

Ein jeder von uns, gemäß den Gaben, den Fähigkeiten die ihm gegeben sind.

Das kann dann tatsächlich auch etwas, wie wir meinen, Kleines sein: Ein Gruß, ein Besuch, eine liebevolle Geste, ein gutes Wort. Mutter Theresa, die indische Ordensfrau, die Gottes Liebe sichtbar werden ließ, indem sie sich den Ärmsten, Todkranken und Sterbenden in Kalkutta annahm, die die Wichtigkeit und die Notwendigkeit, gerade der kleinen Zeichen der Liebe,  einmal so formuliert:

„Es gibt viele Leute, die die großen Dinge tun können. Aber es gibt sehr wenige Leute, die die kleinen Dinge tun wollen.“

AMEN

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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