Gottesdienste im Curanum und in St. Johannis am Sonntag Estomihi - 23.02.2020

Pfarrer Mahler

Curanum, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Alles wird vollendet werden"

 

Kirche am Abend an Estomihi 

Lukas 18,31-43 2020-II

Predigttext

Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war. Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Predigt:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

1.1

Liebe Gemeinde,

merkwürdig erscheint auf den ersten Blick, was da in der Bibel, in unserem heutigen Predigttext scheinbar zusammenhangslos nebeneinander steht: Jesus sammelt seine zwölf Jünger um sich, und wirft einen Blick auf die eigene Zukunft: Den Heiden, also den Römern wird er übergeben werden, verspottet und mißhandelt werden, geißeln und töten werden sie ihn. 

Und direkt nach dieser Leidensankündigung wird erzählt, wie Jesus nach Jericho kommt, einen blinden Menschen heilt, und alles Volk, das dabei war, Gott lobte. 

Wie passt das zusammen? Eine fröhliche Heilungsgeschichte, eine Geschichte über Jesus, wie wir sie kennen und lieben – und daneben ein Bericht von düsterer Stimmung, ein Blick auf Jesu  bevorstehenden Leidensweg.

Passt das denn überhaupt zusammen?

Ja, das passt zusammen, und kann gar nicht anders sein: Denn sein Weg wird Jesus nunmal ans Kreuz führen. Er ist schon unterwegs nach Jeruslaem, wo sich sein Schicksal entscheiden wird. Und zugleich war, ist und bleibt sein Weg ein Weg im Namen Gottes zu den Menschen: predigend, heilend, tröstend, dienend wendet er sich ihnen zu. 

In Jesus selbst kommt beides zusammen: Das, was er ist, wozu ihn Gott in die Welt geschickt hat, ein Bringer des Gottesreichs. Und zugleich eckt er damit an, bringt er die Welt der Mächtigen durcheinander, so dass sie ihn loswerden wollen.

Dieser Bibeltext passt auch ganz gut ins Kirchenjahr: Wir befinden uns zwischen dem Weihnachtsfestkreis und der Fastenzeit. Vorfastenzeit werden diese Sonntage genannt. Weihnachten haben wir gefeiert, der Taufe Jesu und seines ersten Wunders auf der Hochzeit zu Kana gedacht, als Wasser zu Wein wurde, das Erscheinungsfest – in all diesen Geschichten der letzten Sonntage sehen wir die Herrlichkeit Gottes. Und ab kommenden Mittwoch, dem Aschermittwoch, da gehen wir innerlich den Leidensweg Jesu mit.

1.2

„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn“. Ich kann mir vorstellen, dass das die Jünger nicht hören wollen. „Sie begriffen nichts“ formuliert Lukas. Bei uns ists ja nicht anders. Wir alle kennen bestimmt Menschen, die klagen viel, die jammern, und oft geht’s einem so, dass man sich das gar nicht anhören will. Es gibt die Schwarzseher, die die Zukunft in den düstersten Farben sehen. Leid, Leiden, das schieben die meisten Menschen an den Rand. Und auch das stimmt: Keiner von uns will freiwillig leiden.

„Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.“. Da waren sie wieder dabei, die Jünger. Voller Begeisterung. Die Menschen bewundern ihren Jesus. Genau deswegen folgen sie ihm ja nach. Als Jesus den Blinden geheilt hat, da wurde wieder spürbar, wie er Segen bringt, wie Menschen es in seiner Nähe mit Gott selbst zu tun bekommen. Und auch das kennen wir: Wenns uns gut geht, da loben wir unseren Gott. Da freun wir uns, dass wir ihn haben, dass er uns so reich segnet. Gott, der heilt und tröstet, der aufrichtet und stärkt, so kennen und mögen wir ihn.

Uns geht’s also nicht anders als den Jüngern damals. Und doch kennt auch unser Leben beide Seiten, kommt auch in unserem Leben beides zueinander.

Da gibt es auch immer wieder unseren Leidensweg: Mal ist er kürzer, ein andermal scheint er kein Ende zu nehmen. Finanzielle Schwierigkeiten, so dass man schaun muss, wie man über die Runden kommt. Konflikte im zwischenmenschlichen Bereich: Da kommt man mit einem Menschen einfach nicht mehr klar, und das belastet. Die Wege zueinander scheinen verschlossen. Da ist eine Krankheit, die die Zuversicht raubt. Oder einfach die Gebrechen, die im Alter kommen. Es geht alles nicht mehr so, wie man möchte. Man merkt, dass man abbaut. Leidenswege. Ganz verschieden sehen sie aus. Und ganz individuell gehen wir damit um. Klagen und jammern laut. Oder fressen es in uns hinein. Oder teilen es mit anderen. Oder geben uns nach außen stark und unbelastet. Verdrängen es. Wie auch immer – keiner wird in seinem Leben ohne Leidenswege auskommen.

Aber genauso gibt es da die Erfahrungen, wo wir wie der Blinde den Segen Gottes spüren, unsere eigenen Segenserfahrungen: In einer brenzligen Situation sind wir gerade noch einmal davongekommen und bewahrt worden. Da wurden wir wieder gesund, da konnten wir uns versöhnen und einen Streit bereinigen. Da hat er ein Vorhaben gelingen lassen. Wir haben den richtigen Partner gefunden. Den Kindern geht es gut. Gott schenkt uns nicht nur unser tägliches Auskommen, sondern auch liebe Menschen an unserer Seite. Viele schöne Momente verdanken wir ihm.

Der Weg Jesu, der Weg der Jünger, der Weg des Blinden, unser Weg – alles Wege, die beides kennen: Erfahrungen des Schweren und Erfahrungen des Segens. Und gerade dann im Schweren, da ist sie da, die Sehnsucht nach Gott, dass er das Leiden wieder wendet, dass er neu seinen Segen schenkt. 

LIED: Ich glaub, ich bin gesegnet

2.1

„Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner“.

Der blinde Bettler in Jericho ruft, um Jesus auf sich aufmerksam zu machen. Er hat mitbekommen, dass da ein großer Trubel ist, dass Jesus vorbeikommt, der Wanderprediger, der schon so vielen Menschen im Namen Gottes geholfen haben soll. „Sei ruhig“, sagen ihm die Leute. „Du störst, wir wollen hören, was Jesus zu sagen hat“. Der Blinde aber schreit weiter, noch lauter: „Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“.

Der Blinde nimmt Jesus mit hinein in seine Not, nimmt Gott mit hinein in seine Not. Jesus wird auf ihn aufmerksam, lässt ihn zu sich bringen und fragt: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“. Und der Blinde antwortet, bringt in einem kurzen Satz seine ganze Not und Hoffnung auf den Punkt: „Herr, dass ich sehen kann.“.

Gott hineinnehmen in die Not. Jesus selber wird das auch tun. Der, der hier noch souverän hilft, wird später in seiner eigenen Not, die er schon kommen sieht, sich auch an seinen himmlischen Vater wenden: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“. Gott nahm den Kelch des Leids nicht von ihm. Jesus hat bitterlich geklagt, und doch stirbt er wiederum mit einem Wort großen Vertrauens auf den Lippen und nimmt Gott sogar in seinen Tod mit hinein: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“.

Der Blinde nimmt Gott hinein in seine Not. Jesus tut es. Und viele von uns Christinnen und Christen tun es. Sogar Menschen, die sonst wenig mit Gott reden formulieren plötzlich ein Stoßgebet: „Not lehrt beten“, sagten schon die Alten. Ja, so ist das: manchmal führen erst schwere Wege einen Menschen wieder zurück zu Gott. Sie helfen, das Leben in einem neuen Blickwinkel zu sehen, zu erkennen, was wirklich wichtig ist, worauf es wirklich ankommt. Zu erkennen, dass wir letztlich auf Gott angewiesen sind, denn das letzte Wort hat ja doch nicht die Medizin oder anderes, sondern Gott.

Darum: Rufen wir auf unseren eigenen Leidenswegen auch nach Gott, rufen wir ihn hinein in das, was uns beschäftigt: „Jesus, erbarm dich meiner“. Sagen wir ihm, was wir uns erwünschen und erträumen, was sich ändern soll, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen, oder dass ers einfach gutmachen soll. Freilich unter dem Vorbehalt Jesu: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“.

2.2

„Dass ich sehen kann“, das war der Wunsch, die Bitte des Blinden. 

Und Jesus sprach zu ihm: „Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.“

Der Blinde lässt Jesus wirken, und Jesus heilt seine Blindheit, er kann sehen.

Jesus selbst ließ auch seinen himmlischen Vater wirken. Darum bekennen wir nicht nur „gekreuzigt, gestorben und begraben“, sondern auch „am dritten Tag auferstanden von den Toten“.  Gott hat ihm neues Leben geschenkt, durch den Tod hindurch. Sein Weg ins Leiden, den die Jünger nicht wahrhaben wollten, wurde zu einem Weg des Segens für viele: gestorben um unsere Schuld zu überwinden, auferstanden als Erstling, viele werden ihm folgen, gegenwärtig in der Welt als der, der fortan zur Rechten Gottes sitzt.

Lassen auch wir Gott wirken. Manchmal wendet er die Not direkt. Manchmal ist kein Ende unseres Leidensweges abzusehen. Und dennoch vertraue ich darauf, dass Gott die notwendige Kraft geben wird, diesen Weg weiterzugehen, am Leben nicht zu verzweifeln. Vertrauen wir uns und unsere Sorgen ihm an, lassen wir sie verwandeln von seiner Gnade.

2.3

Der geheilte ehemals Blinde pries Gott und folgte ihm nach, und die Menge stimmte ins Gotteslob ein.

Mögen auch wir immer wieder ins Gotteslob einstimmen, wenn wir im eigenen Leben erleben, wie wunderbar Gott wirkt, oder wenn wirs im Leben der anderen wahrnehmen.

Gott bewahre uns aber zugleich davor, wenns nicht so wie erwünscht läuft, ins „Kreuzige ihn“ einzustimmen, wie es nur wenig später Menschen in Jerusalem tun werden, die sich von ihm angewendet haben oder ihn nie kannten.

Es ist die Kunst des Glaubens, auch im Schweren an Gott dranzubleiben und ihn im Schweren zu finden.

Ihr Lieben,

beides gehört zum Leben: Segenserfahrungen und schwere Wege, aber auch dieses: mitten im Schweren Kraft, Trost, Nähe und neuen Segen zu erleben.

Gott geht all unsere Wege mit und nimmt die Angst. Und er wird uns ans Ziel bringen. Darum: Vertrauen wir uns ihm an.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.