Gottesdienst im AWO und in St. Johannis am 2. Sonntag nach Epiphanias - 19. Januar 2020

Pfarrer Mahler

AWO, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Und siehe, es war gut"


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Wasser wird zu Wein. Von diesem Wunder haben wir heute im Evangelium gehört. Jesus ist auf eine Hochzeit eingeladen wurde. Dort geht nach kurzer Zeit der Wein aus. Dann verwandelt er Wasser zu Wein, damit die Feier fröhlich weitergehen kann. Das ist das erste Wunder, das Jesus nach dem Johannesevangelium getan hat. Dieses erste Wunder zeigt uns: Jesus feiert gerne und er mag es, wenn die Menschen fröhlich sind – wie auf jener Hochzeit. Gott will, dass wir Freude am Leben haben. Unser Leben soll immer wieder auch ein Fest sein. Gott selbst gibt uns den Anlass dazu, denn schon in der Schöpfungsgeschichte lesen wir, wie Gott sein Werk beurteilt: "Und siehe, es war sehr gut.".

Die Worte unseres heutigen Predigttextes aus dem Buch des Propheten Jeremia haben dagegen wenig mit dieser Lebensfreude zu tun. Da machen Menschen ganz andere Erfahrungen mit dem Leben. Hört, was im Buch Jeremia im 14.Kapitel, 1-9 geschrieben steht: 

Dies ist das Wort, das der Herr sagte zu Jeremia über die große Dürre. Juda liegt jämmerlich da, seine Städte sind verschmachtet. Sie sitzen trauernd auf der Erde, und in Jerusalem ist lautes Klagen. Die Großen schicken ihre Leute nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. Die Erde lechzt, weil es nicht regnet auf Erden. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. Ja, auch die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst. Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben. Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, HERR, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht! 

 Liebe Gemeinde, was die Menschen hier erleben, ist das nicht ein Widerspruch zu unserem Sonntagsevangelium? Jesus ein Freudenmeister. Wo ist hier diese Lebensfreude, die Gott schenkt, geblieben? Eine große Dürre herrscht, das Land liegt jämmerlich da. Kein Regen, die Erde lechzt vergeblich danach. So eine Dürre ist für eine Gesellschaft, die vom Ackerbau lebt, verheerend. Die Saat geht nicht auf, das Korn wird immer weniger, und so bleibt schließlich auch nichts übrig, um im nächsten Jahr wieder ausgesät zu werden. Abhängig sind die Menschen von Sonne, Wind und Regen. Nein, sie brauchen niemanden, der ihnen Wasser in Wein verwandelt. Sie brauchen einen offenen Himmel, der Wasser herabströmen lässt. Sogar die Tierwelt ist in große Mitleidenschaft gezogen, die Hirschkuh verlässt ihre Jungen, er wächst kein Gras, sie weiß nicht, wie sie die Jungen und sich durchbringen kann. Und noch schlechter geht’s in den Städten, die ja auf den Ankauf von Getreide aus den Dörfern angewiesen sind: In Jerusalem ist lautes Klagen.

Klage

Grund zur Klage kennen wir auch heute, mehr als 2500 Jahre später. In manchen Landstrichen, besonders in Afrika, ist die Sorge die gleiche wie damals, die Dürren machen das Überleben schwer. 

Mich hat auch sehr der Abschuss des Flugzeugs im Iran beschäftigt: Ein Mensch hatte seine Verwandtschaft besucht, will nach Hause fliegen, und in ein paar Sekunden ist sein Leben dahin. Seine Pläne und Hoffnungen vom Leben, er als ein Mensch mit seinem Charakter, seinen Gaben. Und in der Familie ein großes Loch, Entsetzen, Wut, Trauer.

Grund zum Klagen, den haben manche von uns aber auch in der eigenen kleinen Welt, im eigenen Leben: Die Enkelin hat eine gute Ausbildung, aber sie findet einfach keinen Job und ist schon ganz deprimiert. Ein naher Mensch denkt einfach anders, und deswegen kommts immer wieder zum Streit, der die Beziehung vergiftet, und das liegt schwer auf der Seele. Die Diagnose des Arztes war niederschmetternd. Ich denke, jeder kann da sein eigenes Leben oder das seiner Lieben hineindenken.

Ach, Herr“, so seufzt der Prophet Jeremia. Er klagt, er fasst seine Gefühle von Schmerz, Trauer und Leid in Worte. Das ist ein psychologisch wichtiger Vorgang: Dinge benennen, in Worte bannen, damit nicht alles wie ein großer Wirrwarr auf der Seele lastet. Und nicht nur benennen und in Worte bannen, sondern sie auch einem anderen hinwerfen. Einen Adressaten haben, dem man das erzählt. Vor dem man seinen Kummer ausschüttet. Meist tut einem das gut. Hier ist das gegenüber, der Adressat, Gott: „Ach, Herr“. Klagen ist etwas Wichtiges, wenn uns etwas auf der Seele lastet. Und wir dürfen klagen. Im Alten Testament wird viel geklagt. Da ist ein Hiob in seiner Not, der vor Gott sein Leiden bringt und seine Unzufriedenheit mit eben diesem Gott. Da sind die Klagepsalmen, die Menschen seit Jahrhunderten helfen, für ihre Nöte Worte zu finden. Und auch Jeremia klagt. Ich stelle mir das so vor: Jeremia ist umgeben von Menschen, die in ihrer Not zu ihm, dem Mann Gottes gekommen sind. Und er leiht ihnen seine Stimme, er wendet sich für sie und sie sich durch ihn zu Gott. Klagen in großer Not, das ist etwas Wichtiges. Aber manche Menschen bleiben dann bei ihrer Klage stehen. Sie kommen nicht weiter. Sie richten sich in ihrer Klage ein, und finden dann immer schwerer hinaus.

Bekenntnis der Schuld

Anders Jeremia. Die Klage führt ihn weiter, zunächst zu einem Schuldbekenntnis: „Wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.“.

Auch heute stellt ja manch einer die Frage: „Was hab ich denn getan, dass es mir so schlecht geht?“. Manchmal, da stimmts ja wirklich, da ist der Mensch selber Schuld am Schlimmen. Wer hat die Luftabwehrrakete abgeschossen? Und bei den Feuern in Australien: Die Ursachen werden diskutier, und sind doch fast alle letztlich auf Menschen zurückzuführen: Bewusste Brandstiftung? Unachtsamer Umgang mit Feuern in der Landwirtschaft oder Natur? Der Klimawandel, an dem  die von uns fabrizierten Treibhausgase nicht so ganz unschuldig sein werden? Krankheiten als Folge von Tabak und Alkohol, von falscher Ernährung und von Bewegungsmangel. Und auch an zerrütteten Beziehungen sind oft beide Seiten schuld. Freilich ist es so, dass es keinesfals einen generellen Zusammenhang zwischen unserem Tun und unserem Ergehen gibt, das hat auch Jesus zurückgewiesen. Und dennoch ist dieser Blick aufs Eigene wichtig. Die eigenen Verstrickungen zu sehen, das fällt nicht leicht, und das kann nicht jeder. Jeremia wirft einen Blick aufs eigene Verhalten, auf die eigenen Sünden: Unser Ungehorsam ist groß. Die eigene Schuld einsehen, das wird aber das Herz Gottes erweichen.

Bekenntnis zu Gott

Trotz der Not und angesichts der eigenen Schuld bekennt sich Jeremia und mit ihm das Volk zu Gott: Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer.

Und so geht der innere Weg weiter: von der Klage übers Eingestehen der Schuld zum Gottesbekenntnis. Wer ist Gott? Der Trost Israels und sein Nothelfer.

Das ist kein auswendig gelerntes Bekenntnis, das Jeremia mehr oder weniger bewusst aufsagt. Das ist ein wirkliches Bekenntnis, denn genau so haben er und die Menschen Gott immer wieder erlebt: Schon in den biblischen Texten begegnet er als Tröster und Nothelfer. Unzählige Geschichten legen davon Zeugnis ab. Menschen erzählen, wie sie Gott genau so erlebt haben, auch heute. Und schließlich ist es die eigene Erfahrung, die zu diesem Bekenntnis führt, das, was Jeremia, die Menschen damals aber auch wir schon mit Gott erlebt haben: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet?“. Zu Gott bekennen. Auf ihn schaun, wie er ist. Welche Not er nicht schon gewendet hat. Wie er heilsam schon gewirkt hat. Das ist die richtige Blickrichtung, die Jeremia nun einnimmt, zu der er uns führt. Mitten in der Not ein Bekenntnis zum Tröster und Nothelfer, zum lebendigen Gott.

Gott „festnageln“

Und weil Gott eben so ein Tröster und Nothelfer ist, deshalb will ihn Jeremia nun darauf auch „festnageln“: Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum stellst du dich wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?

Kühn ist der Prophet. Einen vorwurfsvollen Ton legt er an den Tag. Vergleicht Gott mit einem Wanderer, der nur kurz bleibt und der wieder weiterzieht, dem also egal sein kann, wie es uns geht. Er vergleicht ihn mit jemandem, der nicht nur nicht helfen will, sondern nicht helfen kann. Und doch dienen diese beiden „Warum“-Fragen gerade dazu, Gott herauszufordern, nun doch seine heilsame Macht aufscheinen zu lassen, sich erneut und wieder als Tröster und Nothelfer zu offenbaren. 

Ausdruck des Vertrauens und Bitte

Und so kommt der Prophet nun über die Klage, über das Einsehen der eigenen Schuld, über das Bekenntnis zu Gott als Erlöser und Tröster und das ihn-darauf-Festnageln dazu, sein Vertrauen in Gott zu bekräftigen und endlich eine Bitte an ihn zu richten: Du bist ja doch unter uns, HERR, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

In anderen Worten: Auch wenn wir deine Nähe nicht spüren, wir wissen: Du bist da. In diesem Vertrauen bitten wir dich: Verlass uns nicht! Eine einfache Bitte. Drei Worte mit einem großen Ausrufungszeichen: Verlass uns nicht!

Mehr Worte könnte man finden: Gott, wende unsere Not. Gib uns die nötige Kraft, unseren Weg weiterzugehen. Schenke mir neue Perspektiven. Hilf mir, die richtige Entscheidung zu treffen. Lass uns spüren, dass Du uns fest in Deiner Hand hältst. Vergib mir. Schenke uns Versöhnung. Schenke Frieden. Und doch lassen sich all diese Bitten zusammenfassen in diesem kurzen Gebet: „Verlass uns nicht!“.

Jeremia spricht Gott sein Vertrauen aus- Du bist ja doch unter uns, HERR, und wir heißen nach deinem Namen -und bittet ihn: Verlass uns nicht.

Was kommt?

Und was kommt nun? Wie geht es weiter? Weiter mit der Not, die mich bedrückt? Weiter in meiner Beziehung zu Gott. Ein großes Fragezeichen sehe ich vor mir. Wie es genau und konkret wird, das läßt sich nicht vorhersagen. Gleichwohl vertraue ich darauf: Es wird gut werden. Gott wird sich bemerkbar machen, denn das hat er bisher immer getan. Mitten auf den schweren Wegen wird er seine Nähe schenken. Neue Freude wird möglich sein. Jesus selbst sagt ja: „Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.“ Lk 6,21. Vielleicht zuerst eine Freude über sein Nahesein und seine Kraft mitten in allem Leide. Dann aber auch Freude an gewendeter Not, oder/und an guten Dingen, die er schenkt und gelingen lässt. Und zuletzt wartet eine ganz große Freude auf uns, die uns Jesus als der Freudenmeister bereitet: das himmlische Festmahl Jesu mit den Seinen, und ich bin vermute, da wird’s besten himmlischen Wein oder Traubensaft geben.

Liebe Gemeinde, klagen auch wir Gott unsere Not. Aber bleiben wir dabei nicht stehen. Gehen auch wir gerade dann, wenn wir in Sorgen und Ängsten sind, den Weg des Jeremia: Blicken wir auf uns und darauf, wie wir in manches verstrickt sind. Heben wir dann im Wissen um uns selbst unseren Blick zu Gott, bekennen wir uns zu ihm als Tröster und Nothelfer, wie wir und andere ihn durch die Zeiten immer wieder erlebt haben. Nageln wir ihn darauf fest. Und bitten wir ihn voller Vertrauen. 

Ich schließe mit dem Hildesheimer Rosenstock: An der Mauer der Hildesheimer Kirche wächst er, bis ans obere Ende der Kirchenfenster reicht er hinauf. Uralt ist er schon, „tausendjähriger Rosenstock“   wird er genannt. Bewundert von unzähligen Menschen. Was hat er nicht schon alles gesehen: Freud und leid, Kriege und Brandschatzungen, alles hat er überstanden. Doch dann, bei einem Bombenangriff am 22. März 1945 während des Z Zweiten Weltkriegs verbrannte er und lag unter Trümmern der Apsis begraben. – Aber ein Wunder geschah: Acht Wochen nach dem Angriff brachte die Wurzel des Rosenstocks 25 neue Triebe hervor, und bis heute steht er in all seiner Pracht da und blüht. 

So dürfen auch wir Hoffnung haben: Mitten in unserer Not, dass Gott sie wendet, auch aus unseren Trümmern wieder Knospen aufgehen lässt. Und wir dürfen Hoffnung haben auf den großen Garten Gottes, das Paradies. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.