Gottesdienste (Konfirmationen) an den Sonntagen Quasimo[-][br]dogeniti (Weißer Sonntag - 27. April 2014) und Misericordias Domini (4. Mai 2014)

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St. Johannis Rödental

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Das Labyrinth des
Lebens"

Die biblische Geschichte, die der Predigt zu Grunde liegt, steht in der Apostelge-schichte im 16. Kapitel, die Verse 11 bis 15.

Lukas berichtet:

Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.  Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.  Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde!

I.

So wird sie aussehen, die Konfirmationsurkunde, die ihr nachher bekommt. (hochhalten)

Als Bild haben wir ein Labyrinth ausgewählt. In klein kopiert und in schwarz-weiß befindet sich dieses Labyrinth auch auf dem Liedblatt auf der Titelseite. Wer gute Augen hat, kann einmal versuchen, mit dem Finger den Weg nachzufahren, der links oben beginnt und zur Mitte führt. Gestern war übrigens auch der „Internationale Tag des Labyrinths“, so dass es auch von daher gut zum heutigen Tag passt.

Labyrinthe sind etwas Faszinierendes. Es gibt sie seit mehr als 5000 Jahren: das Älteste befindet sich eingeritzt in einer Felswand auf Sardinien. In England finden sich zahlreiche Rasenlabyrinthe, in denen durch unterschiedlich hohes Gras der Weg erkennbar ist. In Skandinavien sind sie häufig aus Steinen gelegt, ab und an sogar so hoch, dass man den Verlauf der Gänge und die Mitte nicht sieht. Ich weiß nicht, wer schon einmal durch ein echtes Labyrinth gelaufen ist. Ein Labyrinth unterscheidet sich dadurch vom Irrgarten, dass man sich nicht verlaufen kann: Es gibt nur einen Weg, und keine Sackgassen. Allerdings windet sich dieser Weg in vielen Kurven um die Mitte. Auf kleinstem Raum und verschlungenen Wegen geht man den längsten Weg, den man auf dieser Fläche zurücklegen kann. Manchmal meint man, man sei schon ganz nah am Ziel, und dann führt der Weg wieder weg in einen Außenbereich, bis er sich erneut der Mitte annähert.

Ein Labyrinth lässt sich mit dem Lebensweg von uns Menschen vergleichen: Bei unserer Geburt, da stehen wir am Eingang. Die ersten Schritte werden wir noch von unseren Eltern getragen, doch kurz darauf krabbeln und laufen wir selbst unseren Lebensweg. Mal gehen wir voller Elan den Weg gerade aus, dann wieder geht es plötzlich anders weiter, als wir erwartet haben. Nie wissen wir, was uns hinter der nächsten Biegung erwartet, auf wen wir treffen oder was wir da erleben.

II.

Im Predigttext haben wir von Lydia gehört. Über sie wissen wir nicht allzu viel. Und doch ist es spannend, zu versuchen, sich in ihr Lebenslabyrinth hineinzuversetzen, die Wege nachzugehen, die sie gegangen ist. Geboren wurde sie in Tyatira, das ist heute die Stadt Akhisar in der Türkei. Da tat sie ihre ersten Schritte. In der Bibel treffen wir sie aber in der griechischen Stadt Philippi an. Welcher Lebensweg führt ein junges Mädchen in die Fremde, so weit entfernt von ihrer Geburtsstadt? Auf dem Landweg über Istanbul wären es über 900 Kilometer. Damals war das etwas Besonderes, wenn Menschen so weit herumkamen. Vielleicht waren ihre Eltern Fernhändler, die wiederum Händler in Philippi kannten. Und so wurde geschickt eine Hochzeit eingefädelt, und Lydia musste sich in wohl jungen Jahren aufmachen, weg von zu Hause, zu ihrem Ehemann und in ein neues zu Hause. Spannend wird es sein, wenn ihr euch einmal zur Silbernen Konfirmation wieder trefft: Wen werdet ihr wo getroffen haben, um mit ihm das Leben zu verbringen? Vielleicht wird es auch den ein oder anderen in die Fremde verschlagen, der es heute noch gar nicht erwartet: vielleicht, weil dort der Ehepartner wartet, oder weil es dort den Arbeitsplatz gibt, den ihr auswählt, oder weil ihr einfach Lust auf Neues habt. Der Lebensweg kann an überraschende Orte führen.

Lydia hatte es zu etwas gebracht: Sie ist Purpurhändlerin. Purpur ist ein Textilfarbstoff, der aus Schnecken in einem komplizierten Färbeverfahren hergestellt wird. Kaum eine andere Farbe hatte im Lauf der Geschichte einen so hohen gesellschaftlichen Stellenwert: Häufig war sie Herrschern und anderen wichtigen Persönlichkeiten vorbehalten. So durften zum Beispiel im alten Rom nur der Imperator und die Senatoren Purpur tragen. Wer mit Purpur handelt, der war angesehen und nicht unvermögend. Wer weiß, welcher Beruf einmal auf Euch wartet? Ob ihr das ganze Leben den gleichen Beruf haben werdet oder nicht. Ob ihr wie Lydia Geschäftsfrau eines nicht unbedeutenden Unternehmens werdet, oder ob ihr euch mehr Zeit und Kraft in die Familie statt in die Karriere investieren werdet. In meiner 7.Klasse haben wir über die Lebensziele gesprochen. Und ich habe mich gefreut, dass bei den meisten nicht nur viel Geld verdienen oder Berühmtwerden genannt wurde, sondern dass sich sehr viele auch einmal eine eigene Familie und Kinder wünschen.

Es war damals ungewöhnlich, dass eine Frau ein Handelshaus führte. Vielleicht hat sie die Geschäfte von ihrem Mann übernommen, der schon gestorben ist? War sie Witwe? Auch das wird im Leben auf euch zu kommen: dass euch liebe Menschen verlassen – weil es Streit gibt, oder weil sie sterben. Und trotzdem ging für Lydia das Leben weiter: Sie hat ihr Leben in die Hand genommen, die Verantwortung übernommen, und sie führt ihr Haus, zu dem damals nicht nur die Familie, sondern auch die Mägde und Knechte, die ganzen Angestellten. Es wird überhaupt Dinge geben, die wir finden und auf dem Lebensweg mitnehmen, und andere, die zur Last werden, dürfen wir auch wieder zurücklassen.

In der Bibel wird Lydia zu einer ganz wichtigen Person. Das hat mit dem zu tun, was damals an jenem Fluss geschah, den man mittlerweile nach ihr benannt hat. Lydia war dort mit den Frauen, um zu beten. Wahrscheinlich hatten sie hier einen ruhigen Ort und etwas abseits der Stadt mit ihren zahlreichen griechischen Göttertempeln ihre jüdische Gebetsstätte eingerichtet. Als die Frauen miteinander beteten und bestimmt auch plauderten, da kamen ein paar Männer zu ihnen, Reisende. Sie stellten sich als Paulus und Lukas vor, und noch ein paar Begleiter hatten sie dabei. Diese Gesellschaft war gerade erst aus Kleinasien herüber nach Europa, nach Griechenland gekommen. Und sie brachten Kunde vom Messias: von jenem Jesus aus Nazareth, in dem sich Gott selbst den Menschen gezeigt hat, der gekreuzigt wurde und auferstand. Jesus, der Frieden verkündigt hat, und der die Liebe Gottes offenbart, welche selbst menschliche Schuld und den Tod überwindet. Die Frauen müssen von dieser Frohen Botschaft begeistert gewesen sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Lydia sich entschied: Ich will mich taufen lassen, und mein ganzes Haus. Ich will, dass wir alle zu Jesus Christus gehören. Lukas erzählt uns: „Der Herr tat ihr das Herz auf!“: Mit ihrem Herz hat sie das gehört, was Paulus ihr erzählte. Sie wurde in ihrer Tiefe angerührt von dieser Frohen Botschaft: Sie hat die Erzählungen über Jesus nicht nur als interessante Geschichten hingenommen. Sie hat gespürt, was das mit ihr zu tun hat. Und so wurde sie in diesem Fluss von Paulus getauft, und so wurde sie die allererste Christin in Europa! Was an dieser Biegung ihres Lebenswegs geschah, das war für sie entscheidend und hat sie für ihr ganzes weiteres Leben geprägt.

Ihr, liebe Konfis, seid alle als Kinder getauft worden. Das Gute des Glaubens wollten euch eure Eltern nicht vorenthalten. Deshalb haben sie getan, was Lydia getan hat: Für ihre ganze Familie entschieden, dass ihr zu Gott gehören und sein Segen euch von Anfang an begleiten soll. Lydia hat selbst ihr Ja gesagt zu Gott und Jesus Christus. Ihr dürft dieses Ja heute auch selbst sagen, in eurer Konfirmation. Vielleicht hat ja der ein oder andere auch diese Erfahrung wie Lydia gemacht: der Glaube hat mit mir zu tun! Was von Gott erzählt wird, das will sich auf mein Leben auswirken! Gott tut auch heute Herzen auf, und so hoffe ich, dass ihr auch von Herzen heute ja sagt zu Gott, so wie Lydia es tat.

III.

Ich möchte noch etwas genauer hinschauen: Warum war der Lydia Gott und der Glaube so wichtig? Oder auch: Warum ist der Glaube heute Menschen wichtig?

Zum  einen tut sicherlich das Gefühl gut, das ein Christ (Fritz Woike) so beschreibt:

„Nun kann ich nie mehr einsam sein, geschehe, was da mag; mein Freund ist mein, und ich bin sein und voller Licht mein Tag.“.

Da ist also immer einer da bei uns, den man sogar Freund nennen kann: Egal, was mich auf dem Weg durchs Lebenslabyrinth erwartet: Er geht mit. Selbst wenn ich einmal keinen habe, dem ich mich mehr anvertrauen kann: Mein Gott ist bei mir und gibt mir Kraft für den Weg. Das Gute am Labyrinth ist ja, das wir uns da nicht verlaufen können, es gibt keine Irrwege: Alle Erfahrungen, die wir machen, bringen uns weiter, prägen unseren Charakter und die Sicht auf die Dinge. Nie muss man ganz verzweifelt in der Ecke sitzen: Denn der Weg geht ja weiter und ist nicht plötzlich zu Ende. Man muss vielleicht nur um die nächste Kurve rum, schau‘n, was da auf mich zukommt, vielleicht etwas ganz Neues. Gott ist dabei, er ist da für mich. Nichts anderes ist der Segen, den ich euch für euren Lebensweg heute zuspreche. Und dieser Segen gilt, das Versprechen Gottes: Ich gehe mit Euch mit. Gott erneuert sein Versprechen immer wieder. Jedes Mal, wenn ihr gesegnet werdet, ob einmal bei eurer Trauung, oder bei einem ganz normalen Gottesdienst, den ihr besucht: Gott sagt Euch immer wieder: Ich bin dabei! Und er sagt auch: Mit mir kannst Du auch immer wieder neu anfangen: Zu mir kannst Du auch immer wieder mit Deiner Schuld kommen. Ich will Dir helfen, es besser zu machen, und dir vergeben, den Graben zwischen mir und dir überwinden. Im Leben fehlt meiner Meinung nach etwas, wenn ich nur mit den Menschen lebe, die mich umgeben, aber Gott außer Acht lasse. Da bewege ich mich dann nur auf einer Ebene, aber es fehlt die Höhe und die Tiefe, der Bezug zu dem, der alles trägt und alles segnet. Auf eurer Urkunde ist über dem Labyrinth ein leuchtendes Kreuz gemalt: Es erleuchtet all die Wege im Labyrinth. Dieses Kreuz zeigt: Gott ist für Euch da!

Noch ein Zweites gibt es, warum für Lydia und für Menschen heute der Glaube so wichtig ist: Menschen, die mit ihrem Gott leben, die braucht die Welt! Christinnen und Christen achten darauf, die Umwelt zu schützen, die ja die gute Schöpfung Gottes ist und für alle da sein soll. Christinnen und Christen versuchen, im Alltag anderen zu helfen und ihnen zur Seite zu stehen. Christinnen und Christen unterstützen auch Menschen, die in der Ferne leiden. Ich finde es toll, dass die Hälfte der Konfispende unsere Gemeinde verlässt, dass wir uns entschieden haben, Aidswaisen in unserer Partnergemeinde und ein Kinderzentrum in El Salvador zu unterstützen. Das zeigt unsere Verantwortung und unser Engagement als Christen. Solche Menschen braucht unsere Welt und unsere Kirche, die sich einbringen und Gutes tun. Christinnen und Christen geben sind das Licht der Welt, sagt Jesus, die es in der Welt heller machen. Auch Lydias Gemeinde sammelte eine Kollekte, um Paulus bei seinem Dienst zu unterstützen (vgl. Phil 4,10ff.).

Lydia hat sich bewusst entschieden, diesen Weg mit Gott zu gehen. Sie lud Paulus und die anderen zu sich nach Hause ein, und gründete bei sich die erste christliche Gemeinde in Philippi. Und so wurde sie auch Gemeindevorsteherin. Wer weiß? Vielleicht wird auch jemand von Euch einmal Kirchenvorsteher, auch wenn das jetzt innerlich noch in weiter Ferne sein mag.

IV.

Eine spannende Frage bleibt noch: Was erwartet uns denn im Zentrum des Labyrinths? Im Leben werden wir uns viele Ziele setzen. Ob wir sie erreichen oder nicht – unsere Ziele liegen entlang des Lebenswegs, hinter der nächsten Kurve. Aber dort am Ende, da gibt es noch ein Ziel, das Gott für uns bereithält. Dieses Ziel werden wir einmal erreichen, durch den Tod hindurch. Die Bibel hat viele Namen dafür, wie Reich Gottes, Himmel und Paradies. Und sie malt viele Bilder davon, von fröhlichen Engeln oder einem großen Fest mit reich gedecktem Tisch. Was da kommt, das können wir alle nicht erahnen. Aber Jesus hat durch seine Auferstehung am Ostermorgen das Tor des Todes hin zum Himmel durchbrochen. Und so lasse ich mich gerne überraschen, was dort einmal sein wird.

In Kirchen wurden früher ab und an in den Fußböden Labyrinthe eingezeichnet – mit verschiedenfarbigen Bodenplatten oder sogar feinen Mosaiksteinchen. Das wohl bekannteste Labyrinth in einer Kirche findet sich in der Kathedrale von Chartres und stammt aus dem 13.Jhd. Dieses Labyrinth wurde zur Meditation benutzt: Die Gläubigen sprachen Gebete und sangen Lieder, während sie seine Wege entlangpilgerten. Ein interessanter Brauch ist überliefert: In der Osternacht, also bei der Feier der Auferstehung Jesu, die tanzte das Domkapitel, also die Priester und die Mönche mit dem Bischof, diesen Weg durchs Labyrinth, dem auferstandenen Christus entgegen: ein Zeichen der Hoffnung und der Freude des neuen Lebens, das Christus bringt. Innerlich den Lebensweg tanzen – das ist ein schönes Bild für jemanden, der sich dem Leben voller Vertrauen zuwendet, weil er weiß: Gott ist dabei, der Gott, der nicht nur Lydia Leben in Fülle schenkt.

Wir alle sind nicht Lydia. Jeder wird seinen eigenen Weg im Leben gehen. Ich wünsche Euch aber, dass ihr dabei die gleiche Erfahrung wie Lydia macht: dass ihr spürt, dass Gott dabei ist, und es gut mit euch meint. Möge der Himmel immer wieder euer Herz anrühren wie das der Lydia, auf dass ihr voller Vertrauen den Weg in die Zukunft eures Lebens geht. Amen.

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