Gottesdienste im AWO und in St. Johannis am 9. Juli 2017

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Fürchtet euch nicht"

Predigttext: 1. Mose 50, 15-21
Die Brüder aber Josephs fürchteten sich, da ihr Vater gestorben war und sprachen: Joseph möchte uns gram sein und vergelten alle Bosheit, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tod und sprach: Also sollt ihr Joseph sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. So vergib doch nun diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters. Aber Jospeh weinte, dass sie solches mit ihm redeten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Joseph sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich bin unter Gott. Ihr gedachtet's böse mit mir zu machen; aber Gott gedachte es gut zu machen, dass er täte, wie es jetzt am Tage ist, zu erhalten viel Volks. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch versorgen und eure Kinder. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Liebe Gemeinde! 

Die Bibel ist voller Familiengeschichten. Mit allen typischen Konflikten, die die es in Familien so gibt, bis heute: 

Da geht es um Frauen und Männer, um Liebe und enttäuschte Liebe, um die Kindererziehung und darum, wie es sich auswirkt, wenn eins der Kinder vorgezogen wird, um Beruf und Geld, um die Verteilung des Erbes und die wirtschaftliche Zukunft, um Vertrauen und Betrug, um Schuld und Vergebung. 

Da wir alle in einer Familie leben oder zumindest einmal gelebt haben, wissen wir: Eine Familie ist ein empfindliches System. Wenn ein Familienmitglied Probleme hat oder Probleme macht, dann leiden alle darunter. Die Familie ist – wie jedes soziale Gefüge - wie ein Mobile. Wenn ein Teil zu stark bewegt wird, oder sich gar herausnimmt, kommt alles aus dem Gleichgewicht. 

Die Auslöser sind zahlreich: Scheidung, Missbrauch, Überforderung, Gefühlskälte, eine Behinderung, Enttäuschungen. Oft ist Angst im Spiel, Angst in ihren vielfältigen Ausprägungen. 

Unsere biblische Familie, um die es heute geht, ist eine typische Familie von Wüstennomaden vor grob 4000 Jahren. Der größte Reichtum einer Familie lag in den hoffentlich zahlreichen Nachkommen. Und, traditionell waren vor allem die Männer wichtig: Starke Hände in einer lebensfeindlichen Umwelt. Um diese starke Nachkommenschaft zu sichern, hatte ein Mann durchaus auch mehrere Frauen. Und wo mehrere Frauen mit einem Partner zusammenleben, gibt es, na klar, auch Konkurrenzkämpfe und Neid. Neid, der dann auch abfärben konnte auf die Kinder und Enkel. 

So auch in der Familie des Jakob. Einer der Erzväter Israels. Wir kennen die Geschichte aus dem Religionsunterricht. Ich will sie trotzdem, in groben Zügen noch einmal erzählen. Jakob (ja, ja, das ist der der seinen Bruder Esau schon gelinkt hatte) hatte zwei Hauptfrauen und zwei Nebenfrauen. Von den vieren war Rahel seine Lieblingsfrau, und ihre beiden Söhne,  Josef und Benjamin, waren seine Lieblingskinder. Zu allem Unglück starb Rahel bei der Geburt ihres zweiten Sohnes. So bekamen nun Josef und Benjamin, quasi stellvertretend den größten Teil der väterliche Liebe ab. Die anderen 10 Söhne und ungezählten Töchter bekamen längst nicht die Aufmerksamkeit wie sie. Ungeschickt, nicht nachdenkend, wie Eltern nun mal immer wieder sind, kaufte Jakob seinem Josef auch noch einen besonderen Mantel, der durch seine teuren Farben auffiel. 

(Damit wir besser verstehen, was das damals bedeutete, wage ich einen Vergleich: In unserer Zeit würde Jakob alle seine anderen Kinder auf den vorhandenen Festnetzanschluss verweisen, aber Josef bekäme vom Vater als einziger das neueste Apple I-phone mit t und Headset geschenkt). 

Zu dieser Vorzugsbehandlung durch den Vater kam, dass Josef ein aufgeweckter Bursche war, vielleicht so ein richtiger Strebertyp, unangenehm. Und er nervte seine Geschwister mit der Erzählung von Träumen, in denen er stets eine besonders herausragende Rolle spielte. 

Seine Brüder packt die Wut. Und bei der nächsten Gelegenheit schnappen sie ihn, erschlagen ihn aber nicht, wie sie es eigentlich vorhatten. Doch sie verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Dem Vater erzählen sie, ein Löwe hätte ihn getötet. 

Die Brüder sind erst einmal erleichtert, der Vater verbittert – und Josef? 

Für Josef beginnt eine Achterbahnfahrt. Erst hinab in die tiefe, dunkle Zisterne, dann auf den Sklavenmarkt. Ein Aufstieg zum Gutsverwalter und ein Abstieg ins Gefängnis (da war auch schon wieder eine Intrige im Spiel.) Und zuletzt landet er am Hof des Königs von Ägypten und wird sein Stellvertreter. Nun hat er Macht und ist dankbar, dass Gott ihn so in seinem Leben geführt hat. 

Als eine große Hungersnot in der ganzen Nilregion und im Umland hereinbricht, stehen Josefs Brüder als Bittsteller vor ihm und bitten ihn um Getreide für die Familie. 

Nun lässt Josef seine Brüder, die ihn nicht erkennen, seine Macht spüren. Da kann ich mir schon vorstellen, wie er das genoss. Aber er hilft ihnen auch. Erst nach einigen Prüfungen gibt er sich zu erkennen. Dann lässt er die ganze Sippe mit ihren Tieren und Zelten und mit dem alten Vater nach Ägypten kommen, damit sie dort ohne Not leben und ihre Tiere an den Ufern des Nils weiden können. Doch als der Vater stirbt, werden die Brüder noch einmal von ihrer verdrängten Angst überwältigt. Vielleicht will sich Josef ja doch noch rächen, jetzt wo unser Vater tot ist. Und sie gehen zu Josef, ein bisschen verdruckt. Wir haben es im Bibeltext gehört: In meinen Worten: Äh, ja, äh, weißt du Josef, unser Vater, also unser aller Vater Jakob, Gott hab ihn selig, der wollte doch unbedingt, ja, im Grunde auf dem Sterbebett hat er noch gesagt: Die Kinder sollen sich doch alle wieder vertragen und der Josef, der soll seinen Brüdern verzeihen. Das ist doch auch alles schon so lange her, und es ist ja praktisch der letzte Wille unseres Vaters gewesen……usw. 

Ihr Lieben, ganz ehrlich, so richtig sympathisch ist mir keiner aus dieser Jakobssippe. Alle haben sie irgendwie getrickst, die eigenen Vorteile gesucht. 

Trotzdem, die Geschichte geht ja gut aus, hören wir noch einige Verse aus dem Bibeltext: 

….vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters!“ 

Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. 

Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: „Siehe, wir sind deine Knechte.“ 

Josef aber sprach zu ihnen: 

„Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen.“ Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. 

Ende gut, alles gut… ??? So scheint es in dieser Geschichte. Die Angst, zu kurz zu kommen, damals, als nur Josef das schöne Gewand bekam, hat sich als Aggression unter den Geschwistern entladen. Und am Ende verwandelt sie sich in die Angst der jetzt schwachen Brüder vor dem starken Josef. 

Der mächtige Josef, und da wird es jetzt interessant, jedoch erkennt, dass dieses familiäre Machtspiel so nicht weitergehen kann und darf. Er erkennt, nicht wir mit unseren Macht- und Ränkespielchen sind die Macher unseres Lebens. Da ist einer, unter dessen Macht sein Leben, ja unser aller Leben steht: Da ist eine Macht die viel stärker ist, eine Macht der wir letztlich alles verdanken. 

Fürchtet euch nicht: Stehe ich denn an Gottes Statt? 

Das ist so eine Erkenntnis, die wir uns alle gerne hinter die Ohren schreiben dürfen. Stehe ich denn an Gottes Statt? Steht es mir denn zu, zu urteilen oder gar zu verurteilen? 

Gott will, dass das Böse sich in Gutes verwandelt. Gott will, dass Streit in Versöhnung münden kann. Gott will, dass sein Frieden bei den Menschen ankommt. Und so geschieht es hier. 

Gerade in dieser Jakobsfamilie, die alles andere ist als eine Idealfamilie. 

Ich weiß, nicht alle Familiengeschichten gehen so gut aus. Nicht immer erreicht die Friedensstimme Gottes die Herzen von Eltern und Kindern. 

Auch heute behandeln viele Eltern ihre Kinder nicht ganz gleich. Oft braucht auch jedes Kind etwas anderes. Aber die Geschwister müssen spüren, dass sie gleich geliebt werden. Diese Erfahrung sollte sie begleiten bis hin zu einer einvernehmlichen Verteilung des Erbes. 

Da gibt es keine allgemeingültigen Antworten und Lösungen. Denn die Formen und die Situationen von Familien sind viel zu zahlreich und unterschiedlich. Aber die Orientierung, die ist da: Stehe ich denn an Gottes Statt? Und: Gott will, dass das Böse sich in Gutes verwandelt. „Ihr gedachtet es Böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen.“ 

Und es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern: Wie auch immer eine Familie beschaffen ist – sie ist der Ort, an dem Kinder aufwachsen sollen. Damit sie gut aufwachsen können, brauchen sie keine heile Welt, aber sie brauchen Erwachsene in ihrer Nähe, die ihnen ein großes Maß an Vertrauen und Sicherheit vermitteln können und Neugier auf die Wunder des Lebens. Kinder brauchen Menschen an ihrer Seite, die in sich die Bereitschaft zur Versöhnung tragen. Und Kinder brauchen es, dass sie sich bei allen Unterschieden geliebt wissen dürfen. 

Und eines lohnt sich immer: Es lohnt sich, nicht allzu schnell auf andere mit dem Finger zu zeigen, nicht allzu schnell zu sein mit der Zuordnung „böse“ oder „gut“. Mit unseren Urteilen. 

(Ich bin sicher, es gibt nur sehr wenige Menschen, die wirklich überlegen, wie sie etwas Böses tun können. Die meisten Menschen wollen etwas Gutes. Auch die Brüder Josefs wollten etwas scheinbar Gutes. Für sie ist Josef wie ein böser Spreißel im Finger, der in der Familie zu einer Eiterbeule aus Neid und Hass führt. Diesen Spreißel wollen sie loswerden, sie wollen endlich Frieden in der Familie. Dazu wählen sie einen Weg, den wir böse nennen. 

Doch, wie uns die Geschichte zeigt: Gott arbeitet mit unserem bösen und unserem guten Tun. Ob wir ihm das eine oder das andere anbieten, er kann etwas Gutes daraus machen. 

Ihr gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen. 

Gott wandelt selbst das, was wir böse nennen, in Gutes. Da geht es nicht immer ohne Schmerzen ab. Aber wir dürfen gewiss sein, dass Gott in größeren Zusammenhängen denkt und handelt. Und dass wir letztlich von ihm gehalten werden in Zeit und Ewigkeit. ) 

Fürchtet euch nicht: Stehe ich denn an Gottes Statt? 

Mit dieser Einstellung des Josef geht auch Jesus auf die Menschen zu, die ihm begegnen. Er ist nicht ihr Richter oder Rächer. Er ist der, der Menschen und Familien in ihrer Not besucht und Wege eröffnet zum Leben. Gott gedachte es gut zu machen – und das Böse zu überwinden. 

So werden Gräben überwunden und Friede in Familien und zwischen den Menschen möglich. 

Amen.

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