Gottesdienste im AWO und in St. Johannis - 13. Sonntag nach Trinitatis - 10.09.2017

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AWO, St. Johannis

Predigt:
Diakon Günter Neidhardt

"Jesu wahre Verwandte"

Predigttext: Markus 3,31-35

Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. 

Stilles Gebet 

Liebe Schwestern und Brüder, 

„Szenen einer Familie“, so könnte man auf den ersten Blick hin diesen Text aus dem Markusevangelium überschreiben. Nicht unproblematisch, was uns da aufgetischt wird. Und es ist ja tatsächlich auch bei uns so: Beim Stichwort „Familie“, da scheiden sich die Geister schon mal. Für die einen ist Familie „alles“, ein Hort der Liebe und Fürsorge, sie gibt Halt und Geborgenheit. Und dann gibt es die andere Sichtweise, das andere Erleben auch: Familie, ein Ort des Streites, der Bevormundung, der Enttäuschung, ja sogar ein Ort der Gewalt. 

Die Familie, einmal eine Bastion der Hoffnung und ein andermal ein Gegenstand der Sorge. Aber wo soll in einer unsicheren Welt Verlässlichkeit und Vertrauen wachsen wenn nicht in der Familie. Es ist sicher kein Zufall, dass viele politische, aber auch kirchliche Programme, die Sorge um den Zusammenhalt der Familie in den Mittelpunkt rücken. Dem Zerfall der traditionellen Familienstruktur Einhalt gebieten wollen. 

Und dann so ein Bibeltext. Viele von uns haben ihn schon mal gelesen, gehört, genau wie ich. Und sind dann doch wieder überrascht über die harsche Zurückweisung Jesu gegenüber seiner Familie, der Mutter, den Geschwistern. Das hat so gar nichts mehr von Heiliger Familie. 

Geübte Exegeten, Bibelausleger sannen daher schon früher auf eine verträgliche Lösung, eine verträgliche Interpretation. So wurde gesagt, eigentlich ginge es gar nicht um die leibliche Familie Jesu. Sie sei lediglich das Symbol für das Volk Israel, die Synagogengemeinde, die Gemeinde des Alten Testaments, die mit Jesus Christus und dem Neuen Testament nicht mehr von Bedeutung sei. 

So einfach sollten, dürfen wir es uns aber nicht machen. Wir müssen uns dieser Provokation „wer ist meine Familie“ schon stellen. 

Und da wackelt dann ein bestimmtes Jesusbild. Mancher entsinnt sich sicher noch der traulichen Lieder und Geschichten vom lieben Jesulein, das seinen Eltern Freude macht. Inbegriff der Idealfamilie, Die weihnachtliche heilige Familie. 

Ihr Lieben, 

wir müssen uns dieses nicht unbedingt verächtlich machen und komplett über Bord werfen. Nur dürfen wir uns von dem idyllischen Familienbild nicht den Blick verstellen lassen für die anderen Töne, die das Evangelium eben auch anschlägt. Heute, mit unserem Predigttext. 

Maria und die Geschwister fragen nach Jesus. Haben ihn vermisst und sind, verständlicherweise, über sein Verhalten irritiert. Seine öffentlichen Auftritte, das war doch nicht normal. „Er ist von Sinnen“, so urteilen sie (Mk. 3,21). Sicher schwang da auch Sorge mit. Er ist doch unser Bruder, gehört doch zu uns, zur Familie. „Komm endlich heim“. 

Ein bisschen spielt sich hier ab, was sich wohl in den meisten Familien abspielt. Kinder werden selbstständig und beginnen sich abzulösen. Da gibt es nicht selten harte Brüche, schmerzhalft für alle Beteiligten, aber eben auch notwendig auf den Weg zur eigenständigen, erwachsenen Persönlichkeit. 

Können wir unseren Predigttext heute also entwicklungspsychologisch deuten. Quasi Jesus in der (späten) Pubertät? 

Auch dieser Ansatz greift wohl zu kurz. Es geht noch um andere Dimensionen. 

Schauen wir wieder den Bibeltext an: Jesus geht nicht auf seine Herkunftsfamilie zu. Die sind draußen. Und auf den sicher wohlmeinenden Hinweis: „Siehe, deine Familie ist da“ , stellt er eine Frage die verletzten muss: „Wer ist meine Mutter….“. Martin Luther hat in einer Predigt zu diesem Text, so habe ich das gelesen, formuliert „seiner Mutter über die Schnauze schlägt“. Warum? 

Das wird es jetzt interessant. Ich denke diese kleine Familienszene verschafft uns eine Ahnung von der sozialen und emotionalen Bedeutung der Jesusbewegung. Also dessen, womit Jesus die Welt neu in Bewegung setzt. Eine neue Gottesbotschaft, die neue Formen der gesellschaftlichen und religiösen Bindungen erfordert. 

Jesus lehnt die traditionellen Bindungen in der Familie nicht grundsätzlich ab. Nein. Aber er ordnet die Prioritäten neu. Das muss die Familie schlucken. Wenn der familiäre Harmonieanspruch ( „Komm doch heim…….“) zwischen Jesus und seine Mission, seinen Auftrag tritt, dann ist eindeutig was Vorrang hat. „Die sind meine Schwestern und Brüder, die den Willen Gottes tun“. 

Ja, das irritiert die Herkunftsfamilie. Blut ist doch angeblich dicker als Wasser. 

Wer den Willen Gottes tut ist meine Schwester und mein Bruder, ist meine Familie. Das ist tatsächlich revolutionär. Das rückt tatsächlich Verhältnisse zurecht. Korrigiert scheinbar Unumstößliches. 

Entscheidende Merkmale der Zugehörigkeit sind nicht Blut und Stammbaum, Volkstum. Nicht Kultur (die sich ja sowieso nicht eindeutig definieren lässt), noch Sprache. Anstelle dieser äußerlichen Kriterien treffen innere, geistige Kriterien. Jesus bringt das auf den Punkt mit dem Halbsatz „Wer den Willen Gottes tut“. 

Liebe Schwestern, liebe Brüder, 

wer also gehört zur Familie Jesu, wer darf sich gar Christ nennen, gehört zur Kirche? 

Klar, da gibt es äußere Merkmale: Wer in der Kartei steht, wer getauft ist, den Gottesdienst besucht. Wichtig, keine Frage. Und da sind natürlich die Hauptamtlichen, Pfarrer und Diakone. 

Allein, Hinweise auf äußere Kriterien (wer in die Kirche geht) reichen nicht aus. Ich denke wir müssen auch ernst nehmen, wenn manche Zeitgenossen zwar in Distanz zur Kirche leben, ihren Glauben aber versuchen im Alltag konkret zu leben. Wie oft erlebe ich in Beerdigungsgesprächen: „Nein, in die Kirche ist sie nicht gegangen, aber gebetet hat sie jeden Tag, und gespendet, ihren kranken Mann  hat sie jahrelang gepflegt, immer hatte sie ein offenes Ohr für die Sorgen der Anderen… Eben: Wer den Willen Gottes tut. 

Was würde Jesus antworten, wenn würde er uns zeigen, wenn wir ihn fragen würden: Wer sind deine Schwestern und Brüder. 

Im Tagesevangelium, der Lesung vor dem Glaubensbekenntnis, hörten wir heute die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Ich muss die jetzt nicht wiederholen. Aber da verbindet sich die Frage „Wer ist meine Familie?“ mit der Frage „Wer ist mein Nächster?“ 

Die Antwort ist in beiden Geschichten die gleiche: „Die, die Gottes Willen tun“. 

Noch ein kleiner Exkurs: Während meiner Ausbildung zum Diakon hatten wir im Fach Dogmatik (also der wissenschaftlichen Lehre was unser Glaube ist) den gestrengen Rektor der Rummelsberger Diakonie, wohl der letzte Patriarch alter Schule, als Dozent. 

Einmal stellt er uns verschiedene Jesusbiographien vor, verbunden (natürlich) mit seinen Leseempfehlungen und Bewertungen. Ein Buch wollte er uns Studierenden nicht empfehlen, es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es trug den Titel: „Jesus in schlechter Gesellschaft“. 

Na, liebe Schwestern und Brüder, was glaubt ihr, was ich mir (und andere) dann angeschafft habe? Klar: „Jesus in schlechter Gesellschaft.“ 

Warum ich das erzähle? Der Wochenspruch bringt uns auf die Spur: „Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan (Mt. 25,40). 

Wer also ist Familie? Familie Jesu, Familie Gottes, Kirchenfamilie? 

AUCH, seine Familie! 

Eben, damals wie heute, die sogenannte „schlechte Gesellschaft“. Zöllner und Bettler, Frauen mit zweifelhaften Ruf, Aussätzige und Ausgestoßene…… Das ist mein Bruder, das ist meine Mutter. 

Familie sind die: Die Gottes Willen tun, (der barmherzige Samariter mag als Beispiel dienen) und, so ergänze ich: Familie sind die, die auf die Liebe Gottes und die Liebe der Nächsten (also uns) besonders angewiesen sind. 

Schaffen wir das? Diese neue Familienzusammenführung. Ich denke die Chancen stehen nicht schlecht. Wir hier in der Kirche, als Gemeinde ja doch die, die, so wie es im Bibeltext heißt, „um ihn im Kreise sitzen“. Auf sie zeigt ja Jesus, wenn er von den wahren Verwandten spricht. 

Zu viel Sicherheit wäre aber fehl am Platze. Die Kirche bietet keine Heilsgarantie (nach dem Motto Dabeisein ist alles). Es gilt nach wie vor: Wer meinen Willen tut ist mein Bruder uns meine Schwester. 

Ich rede euch deshalb auch gerne mit „Liebe Brüder und liebe Schwestern“ an. 

Und die eigene Familie, die wir so kennen, die uns Sicherheit und Heimat bietet, die uns aber auch manchmal verzweifeln lässt. Ist die überflüssig? 

Nein, das sagt unser Text heute nicht. 

Überflüssig, erledigt ist nicht die Familie sondern eine bestimmte Familienideologie. Dagegen setzt sich Jesus zur Wehr. Familie ist nicht alles und kann nicht alles. Schon gar nicht wenn sie zum Religionsersatz wird. Überflüssig ist das Bild der heilen Familie an die man glauben kann. 

Wir brauchen nicht Familien als geschlossene Systeme (ein feste Burg ist unsere Familie), aus der der Einzelne dann ggf. ausbricht. Nein. Wir brauchen lebensfähige, Freiheit und Orientierung gebende Familien. 

Den Willen Gottes tun, das heißt auch, nach der Zukunft der Familie heute fragen, sich für deren Gedeihen einzusetzen. So können Familien auch Gelegenheiten für das Tun des Willens Gottes sein. 

Wo, wenn nicht in den Familien, welche Form auch immer sie haben mögen, kann der Wille Gottes weitergetragen werden. Wer wenn nicht wir, die wir im Kreis um Jesus sitzen, sind dazu berufen, den Willen Gottes zu leben und weiter zu tragen. 

Liebe Schwestern und Brüder!

AMEN

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