Gottesdienst in St. Johannis am 5. Sonntag nach Trinitatis - 1. Juli 2018

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St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Lebenswege"

Predigttext: Genesis 12,1-4a 

Predigt 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. 

Liebe Schwestern und Brüder, 

unser Leben ist wie ein Weg. Seit unserer Geburt sind wir unterwegs auf diesem Lebensweg. Er führt über ebene Straßen und raue Pfade. Er hat Kreuzungen, an denen man sich entscheiden muss. Ein Weg, bei dem man nicht alles in seiner eigenen Hand hat. 

Ein Weg in mehrerlei Hinsicht. Einmal betrifft es den Ort, an dem man lebt: Die alteingesessenen Oeslauer sind hier geboren, und werden vielleicht auch einmal hier sterben. Viele in unserem Ort haben die Kriegswirren aus ehemaligen deutschen Ostgebieten hierhergeführt. Andere hat der Beruf hierher verpflanzt, manchmal nach vielen Zwischenstationen. Und ein paar haben in den letzten Jahren Kriegswirren und schlechte Lebensumstände in ihrer Heimat hierhergeführt, und es ist ungewiss, wie lange sie bleiben und an welchem Ort ggf. ihr Weg weitergehen wird. 

Aber auch die Familiensituation ist wie so ein Weg: Ob man mit zwei Eltern aufwächst oder in anderer Konstellation, welchen Lebenspartner man findet oder auswählt, ob man Kinder bekommt und wenn, dann wieviele. Und ob die Familie weitergeht mit Enkeln und Urenkeln oder nicht. 

Und auch das Berufliche ist so ein Weg: Schule, Ausbildung oder Studium oder aber a.G. der Umstände oder nicht, eine feste Anstellung das Leben lang, oder immer wieder auch Zeiten der Unsicherheit und der Arbeitslosigkeit. Ein Beruf, der einem Freude macht und wo man gerne hingeht, oder nur ein notwendiges Übel zum Broterwerb. 

Und zuletzt ist da auf unseren Lebenswegen noch die private Dimension: Womit man seine Freizeit verbringt, was einem wichtig ist, was man gerne tut. Das Leben ist wie ein Weg. Er führt über ebene Straßen und raue Pfade. Er hat Kreuzungen, an denen man sich entscheiden muss. Ein Weg, bei dem man nicht alles in seiner eigenen Hand hat. 

In unserem heutigen Predigttext begegnet uns jemand, der einen bewegten Lebensweg zurücklegen musste, der großen Wandel in fast allen dieser 4 Dimensionen durchlebt hat. Ich lese aus dem 1.Buch Mose aus dem 12.Kapitel, wie bei ihm der große Wandel begann: Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm 

I. 

Abram hört den Ruf Gottes. Geh weg von zu Hause! Weg aus deinem Vaterland, weg von deiner Familie! Mach dich auf! 

Hört Abraham Gottes Stimme, lässt alles stehn und liegen und geht los? Ganz so spektakulär wie ich früher immer dachte ist diese Geschichte nicht: Abrahams Sippe waren wohl keine Nomaden: Sie stammten aus Ur in Chaldäa, eine der ältesten Stadtgründungen der Welt, heute im Irak gelegen. Dann waren sie nach Haran umgezogen, gelegen in der Türkei an der Grenze zu Syrien. Und auch dort hatten sie schon lange gelebt. Das regelmäßige Umziehen von Weideplatz zu Weideplatz war ihnen nicht eigen. Und nun war es soweit gekommen, dass nicht mehr genug Nahrung für die Tiere zu finden war. Wenn das Vieh so zahlreich wird, dass die Weidegründe nicht mehr ausreichen, dann muss die Gruppe sich trennen. Dann muss ein Teil der Familie aufbrechen zu neuen grünen Auen und frischen Wassern. Ähnliche Gründe, warum auch heute Menschen aufbrechen, um wo anders überleben zu können. Soweit ganz menschlich. 

Aber wie ist das denn, wenn wir als gottgläubige Menschen einen wichtigen Entschluss zu treffen haben, eine Entscheidung, die darüber entscheidet, wie unser Lebensweg weitergehen wird, welche Richtung unser Weg nehmen wird? Dann beten wir darüber. Dann sagen wir Gott, was uns bewegt. Wir werden still und versuchen zu hören, was er uns zu sagen hat. Was er meint. Welche Entscheidung wir treffen sollen, was richtig für uns ist. Und tatsächlich gibt es das, dass wir dann wahrnehmen, wohin Gott uns lenkt. Nicht immer. Und nicht so, als dass wir Gott so sprechen hören würden wie wir uns untereinander hören. Aber doch so, dass uns ein Wort aus der Bibel anrührt und in eine Richtung stößt, oder die Begegnung mit einem Menschen uns bereit für einen Weg macht, oder dadurch, dass wir die Entscheidung vor Gott bedenken, zu einer inneren Gewissheit kommen. 

So wars auch bei mir damals, als ich vor der Frage stand, in der Ukraine zu arbeiten oder nicht. Es gab die Möglichkeit. Es gab Argumente dafür und dagegen: Der Dienst wird gebraucht, ich könnte ganz neue Erfahrungen machen, in eine andere Kultur eintauchen. Ich müsste aber Eltern und Großeltern für einige Zeit zurücklassen. Und ist es dort gefährlich? Und ich habe darüber gebetet, und Gott hat mir einen Bibeltext geschenkt. Da sprach ein Mann aus Mazedonien im Traum zu Paulus: „Komm herüber übers Meer und hilf uns!“. Dass war für mich das Zeichen, dass dieser Weg auch gottgewollt ist, dass Segen darauf liegt. Und genauso kams. Und ein ähnliches Erlebnis mit Gott hat mich auch damals hierher nach Rödental geführt. 

Lebensumstände und Wegkreuzungen können uns zu Gott führen, und er kann genau dann einen Weg zeigen, der gut für uns ist. „Und der Herr sprach zu Abraham“ heißt es in der Bibel. 

Ein Christ kann für sich selbst Gottes Ruf vernehmen. Gottes Stimme kann uns auch heute lenken wenn wir vor einer Entscheidung stehen. Es liegt an uns, ihn zu fragen, und dann auch dafür sensibel zu werden, auf welche Art und Weise er zu dir sprechen will, und dann seine Stimme von dem Lärm unserer Umwelt zu unterscheiden. 

Und noch ein Gedanke zu dieser Berufung Abrahams: Im Wort Berufung steckt nicht nur „Ruf“ drin, sondern auch „Beruf“. Martin Luther war es, der das Wort Beruf geprägt hat. Der nämlich gesagt hat, dass auch unser Beruf so eine Berufung von Gott ist. Ein Beruf ist nicht nur zum Geldverdienen da, er hat einen Mehrwert, er dient anderen Menschen, der Gemeinschaft. Ja, manchmal geht es in einem Beruf auch hart und unmenschlich zu, und da muss man auch protestieren und den Arbeitgeber vom Evangelium und der Menschenwürde her widersprechen. Und nicht jeder kann den Beruf finden, der ihn ausfüllt, oder wo er sich mit den Kollegen wohlfühlt. Und doch ist das ein interessanter Gedanke: In meinem Beruf diene ich anderen. Er muss nicht, aber er kann eine Berufung sein, ein Ort, wo Gott mich hingestellt hat. Gott sei es gedankt, wenn man gerne arbeitet und sieht, wie es zum Wohle von anderen ist. 

II. 

Abraham hört den Ruf Gottes, und er hat von Gott vier große Verheißungen bekommen: ich will Dich zum großen Volk machen, ich will dich segnen, ich will dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen für andere sein. So hat Gott ihm die Zukunft ausgemalt. 

Abraham hatte 4 Verheißungen bekommen. Alle vier haben sich bei ihm erfüllt: 

* „Ich will Dich zum großen Volk machen“: Abraham hat einen Sohn bekommen, Isaak. Obwohl er und seine Frau schon sehr alt waren. Und obwohl sie nach diesen Verheißungen noch lange, lange warten mussten. Seine Nachkommen hat er noch erlebt, aber ein großes Volk sind sie erst lange nach seinem Tod geworden: aus den 12 Kinder seines Enkels Jakob erwuchsen die 12 Stämme Israels. Und heute sehen Juden, Christen und Moslems Abraham als ihren Stammvater an. Diese Verheißung ist seit 3 Jahrtausenden bis zu uns wirksam; doch Abraham selbst hätte sich das so zu Lebzeiten bestimmt nicht vorstellen können. Und damit hat sich bei ihm auch die zweite Verheißung erfüllt: „Ich will Dir einen großen Namen machen“ – diesen großen Namen hat er heute. 

* „Ich will Dich segnen“: Gott hat ihn gesegnet, ihn in ein fremdes Land geführt und Raum zum Leben gegeben. Er hat ihn in Hungersnot und vor Feinden bewahrt. Gott war mit ihm. 

* Und die 4.Verheißung: „Du sollst ein Segen sein!“: Über Abraham lief der Segen hinein in die Geschichte. Menschen, die ihm begegnet sind, haben etwas von Gottes heilendem und rettendem Handeln gespürt. Und das Neue Testament nennt Jesus Christus einen »Sohn Abrahams«, durch den der »Segen Abrahams« schließlich zu allen Völkern kommt. 

Dem Abraham hat Gott viel verheißen. Wir und Abraham sind da gar nicht vergleichbar. Und doch: Eine der Verheißungen des Abraham hat Gott auch uns geschenkt, nämlich den Segen. In unserer Taufe wurden wir gesegnet: Im Taufsegen spricht Gott: Ich will immer bei Dir sein, dein ganzes Leben lang! Am Ende jeden Gottesdienstes wird uns der Segen zugesprochen. Der Segen Gottes geht mit uns allen mit! 

Nehmen wir die Spuren dieses Segens in unserem Leben wahr? All das, was uns dankbar macht, macht uns dankbar vor Gott. Oft nimmt das das für selbstverständlich, und merkt erst, wie wertvoll es ist, wenn es nicht mehr da ist. Viel Grund zum Danken haben wir. 

Aber wo ist Gott, wenn wir Grund zum Klagen haben? Wenn Dinge misslingen? Segen heißt nicht: Alles wird immer gelingen. Auch die großen gestalten der Bibel mussten oft Schweres durchmachen, haben geweint, geklagt, ja sogar Gott angeklagt in ihrer Not. Segen heißt: Gott ist dabei! In deinen Höhen und Tiefen. Du bist nicht allein! Wir wissen, wie gut es tut, wenn wir bei Problemen jemanden haben, mit dem wir reden können, oder wenn wir einfach nicht allein sein müssen. Oft tut schon allein die Anwesenheit eines anderen gut. Gott ist anwesend, er ist da. Und weil er da ist, kann er Kraft gegeben, das Schwere zu tragen, Mut machen, weiterzugehen. 

Diese Verheißung des Segens haben wir. Und noch eine Verheißung, die Abraham bekam, die haben wir, und zwar als Auftrag: „Du sollst ein Segen sein“. 

Diesen Auftrag hat jeder von uns und die Kirche als Ganze. Was ist eigentlich die Kirche? In der Regel antworten wir auf diese Frage in etwa so: Kirche, das ist die Gemeinschaft der Glaubenden. Richtig. Aber man könnte noch mehr sagen: Die Kirche ist von Jesus ins Leben gerufen worden, um an Gottes Heilsplan mitzuwirken. Sie ist eine Sendungsbewegung: eine Gemeinschaft von Menschen, die Jesus gesandet hat Licht der Welt und Salz der Erde zu sein, Gerechtigkeit, Frieden, Heil und Heilung zu anderen zu bringen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. Zu diesen Worten Jesu habe ich auch meine letzte Gemeindebriefandacht verfasst. Wir können auf dieses Gesendetsein zu anderen nicht verzichten, sonst verraten wir den Sinn von Kirche. Und dieses Gesendetsein betrifft sowohl die Kirche als organisierte Institution, als auch jeden einzelnen Christen. 

Und wieder sind wir wie vorhin schon beim Wahrnehmen: Höre ich den Ruf Gottes für mich? Wo will er mich haben? 

In den letzten Wochen haben wir Kandidaten für den Kirchenvorstand gesucht, der im Oktober neu gewählt wird. 16 Kandidierende brauchen wir minimal, und wir hätten es uns bei einigen engagierten Personen vorstellen können. Manche haben abgelehnt aus nachvollziehbaren Gründen. Aber wir haben es geschafft, genügend Kandidaten zu bekommen, über 1/3 der Gemeinden im Dekanat nicht. Für manch einen ist das der Ort, um sich einzubringen. 

Noch ein aktuelles Beispiel: Vor Kurzem hat jemand zu mir Kontakt aufgenommen und gesagt: „Ich habe Zeit, ich möchte mich einbringen! Wo braucht ihr mich?“. So etwas ist nicht selbstverständlich! Und er hat als neuer Mitarbeiter seinen Ort im Cafe-Team und im Besuchsdienst gefunden. 

Viele haben ihren Ort gefunden. Jeder kann sich fragen: Welches ist denn mein Ort? Oder: Welches kann denn mein Ort sein? In der Gemeinde. Und darüber hinaus. Mein Ort, an dem ich Gott dienen kann. Das kann jeder selbst bedenken, und dabei auch auf den Ruf Gottes lauschen. 

III. 

„Und er zog los“. 

Sind wir auch bereit, das Gewohnte hinter uns zu lassen und Neues zu wagen? Örtlich? Oder beruflich? Oder Privat? Oder in unserem Engagament der Gemeinde? Oder in unseren Einstellungen und Meinungen? Und dabei auch einmal etwas zu wagen, sich auch einmal auf unbekannte Wege einzulassen? 

Abraham ist aufgebrochen. Er tat das unter der Verheißung, dass Gott bei ihm ist. Ich will dich segnen. Das gilt auch uns für alle unsere Aufbrüche. Brechen wir auf, ein jeder auf den Weg in seine Zukunft. Gehen wir ohne Angst, ziehen wir los im Vertrauen auf den Herrn, der es mit Abraham gut gemacht hat, und ebenso mit so vielen anderen durch alle Zeiten hindurch bis heute. Er ist uns treu. Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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