Gottesdienst in Oberwohlsbach und St. Johannis - 04.09.2016

Bildrechte beim Autor

OWB, St. Johannis

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Werft eure Sorgen
auf ihn"

Predigttext: 1. Petrus 5,5c-11

Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Liebe Gemeinde!

Mitte August war ich in Kiew im Zoo. Ich wollte meinem Sohn die Löwen zeigen. Am Löwenkäfig angekommen, da sah ich den Löwen und die Löwin ganz hinten im Gehege faul auf dem Boden liegen, für unseren Sohn kaum zu erkennen. Deswegen mussten wir auch gleich weiter zum nächsten Gehege, wo die Zebras umherliefen und Blätter fraßen – endlich Bewegung und was los. Unserem Jonas hätte so ein Löwe, den der Apostel Petrus vor Augen hat, wohl besser gefallen: einer, der brüllt, und vielleicht noch den Kopf hochstreckt und dabei hin- und herläuft.

Im Alten Israel und Kleinasien gab es sie, die Löwen. So ein Löwe ist ein gewaltiges Tier: Er hat eine Schulterhöhe bis 1,23 Meter, und eine Länge von 1,70 bis 2,50 Meter. Ein ausgewachsener männlicher Löwe wiegt durchschnittlich 190 Kilo.

Ein Löwe brüllt nicht nur, um sein Revier zu verteidigen und andere Löwen abzuschrecken. Auch wenn er fressen muss, wird er zuerst unruhig und beginnt leise zu knurren, genau wie ein leerer Magen. Wenn er nicht bald Beute findet, dann wird er immer lauter. Irgendwann reißt er das Maul weit auf und brüllt entsetzlich. Sein Brüllen ist kilometerweit zu hören. Und er streunt in seinem Revier umher, bis er Beute sichtet. Dann aber schleicht er sich an – denn Ausdauer beim Rennen hat er wenig. Was er aber kann, das sind weite Sprünge bis zu 6 Metern und schnell beschleunigen. Und dann wird die Beute zu Fall gebracht und verschlungen.

Petrus überträgt dieses Phänomen aus der Teirwelt auf unser Leben, wenn er schreibt: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“.

Für Petrus und die Gemeinden in Kleinasien, denen er schreibt, war die Gefahr sehr real: Dieser brüllende Löwe, das waren die beiden Kaiser Nero und Domitian, und ihre Helfer und Helfershelfer, die hart gegen Christen vorgingen: Nero, weil er ihnen Brandstiftung vorwarf, und Domitian, weil die Christen die Staatsgötter ablehnten („Atheisten“): ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, Häuser in Brand gesteckt, Menschen festgenommen, gegeißelt oder sogar getötet. „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“.

Dieses Leiden durch Verfolgung lässt sich durch die Jahrhunderte bis heute finden. Als wir vor fünf Wochen unsere iranischen Brüder und Schwestern getauft haben, habe ich darüber gesprochen.

Dieses Phänomen aus der Tierwelt können aber auch wir auf unser Leben übertragen: Wer droht uns zu verschlingen? Welcher Löwe folgt uns mit großem Geschrei, oder pirscht sich vielleicht unbemerkt an, um zum Sprung auszuholen?

Ich blicke zuerst auf unsere Gesellschaft: Etliche zweifeln am „Wir schaffen das“ der Kanzlerin, und sorgen sich um die Zukunft unseres Landes. Oder da ist die besorgniserregende Beobachtung, dass immer mehr Länder nicht nur in Europa einen Rechtsruck vollziehen überlagert schon seit Langem anderes, worüber wir uns früher viel mehr gesorgt haben, z.B. die Frage: Wie lange macht die Natur nach all die Eskapaden des Menschen mit? Wie lange lässt sie sich noch ausbeuten und zubetonieren? Ebenso ist es in der öffentlichen Diskussion leiser geworden um die Höhe der Hartz IV-Sätze, der sozialen Unterstützung und der Rente, obwohl das auch alles Themen sind, die denjenigen, die es betrifft, schlaflose Nächte bereiten.

Damit sind wir von den Sorgen, die unsere Gesellschaft als Ganze betreffen, schon bei den Dingen angekommen, die uns im eigenen Leben zu verschlingen drohen. Auch da gibt es vieles, so unterschiedlich eben unsere Lebenssituationen sind: gesundheitliche Beeinträchtigungen, leidvolle Erfahrungen im eigenen Leben oder im Bekanntenkreis, finanzielle Engpässe und deren Folgen, Probleme am Arbeitsplatz wie Überforderung oder Mobbing, das sich ja bereits in der schule zeigt, wo manchmal Mitschüler richtig fertig gemacht werden, familiäre Konflikte.

Es gibt auch noch eine andere Art von Sorgen, die allerdings in unserem Nachdenken oft zu kurz kommen. Es sind die geistlichen Sorgen: die Sorge, dass unsere Kinder auch im Glauben verwurzelt werden, und dass unser eigener geistlicher Mensch nicht verschlungen wird, dass die Beziehung zu Gott nicht einschläft bzw. untergeht in all den anderen wichtigen und unwichtigen Dingen, die wir tun.

Am vergangenen Donnerstag habe ich mich mit zwei Damen unterhalten, die von ihren Sorgen erzählt haben, die sie zu verschlingen drohten.

Eine von beiden muss plötzlich ihre pflegebedürftige Mutter aufnehmen und für drei Wochen von der Arbeit zu Hause bleiben. Was wird der Arbeitgeber sagen? Wie alles regeln? Welche finanziellen Hilfen gibt es? Und die Mutter selber ist auch nicht einfach, Kurzeitpflege im Heim lehnt sie kategorisch ab.

Und die andere Dame hat erzählt, wie ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes zusammengebrochen ist, wie sie nicht mehr ein- und auswusste, und es so aussah, als würde sie ihr Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen.

Fast jeder von uns wird sein ganz eigenes Sorgenpäckchen mit sich herumtragen. Und zu den Sorgen hinzu kommt meist die Angst vor der Zukunft.

Wie gehen wir mit unseren Sorgen und Ängsten um? Der Ratschlag des Schlagersängers Willy Schneider hilft da nur wenig, im Gegenteil macht er es nur noch schlimmer: „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein, deinen Kummer tu auch mit hinein!“. Die Tipps der guten Freunde - wie denk nicht dran! Schau fernsehen oder geh aus! Lese was, höre Musik, triff dich mit jemandem – sie lenken ein bisschen ab, aber die Sorgen bleiben. Manch einer muss Medikamente nehmen, die die Psyche stabil halten.

Petrus rät den Christinnen und Christen damals: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.

Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.“.

Nüchtern sein, wachen – d.h. den Sorgen nicht die Macht über unser Denken und Fühlen geben. Und er schreibt auch, wie das geht: indem wir fest im Glauben widerstehen. Der Glaube ist für Petrus die Kraft, die verhindert, dass die Sorgen uns mit Haut und Haar verschlingen. Petrus leugnet die Sorgen nicht nach dem Motto: „Wer mit Gott lebt, der hat keine Probleme und Ängste.“. Ganz im Gegenteil: Er ist sich der tiefen und großen Nöte auch der Christen bewusst. Er weiß, dass sie an uns sehr tief nagen können. Und gleichzeitig hat er die Erfahrung gemacht, dass der Glaube hilft. Und so rät er den Menschen damals: „All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für Euch!“. Dieser Rat, die Sorgen auf Gott zu werfen, und die Botschaft, dass er für uns sorgt, hat bis heute keinerlei Wahrheit eingebüßt.

Zuerst der Rat: „All eure Sorge werft auf ihn“: Wie man einen schweren Stein, so werft doch ein schweres Gebet zu Gott mit all dem, was euch belastet. Dieses „Werfen“ muss geübt sein, so wie ein Handballer oder Basketballer immer wieder wirft und trainiert. Es ist keine Sorge zu gering, als dass sie Gott nicht hören würde und sich unserer annehmen würde.

„Er sorgt für Euch“:

Als Zweites die frohe Botschaft, die Petrus weitergibt: Die Frau, die ihren Mann verloren hatte, und die das völlig aus der Spur gebracht hat, sie hat mir gesagt: Ohne Gott hätte ich das nicht geschafft. Mit ihm konnte ich meine Sorgen teilen, und ich verdanke es ihm, dass sich wieder alles eingependelt hat und ich wieder so fröhlich bin.

Und auch bei der anderen Frau, die ihre Schwiegermutter aufnehmen muss, zeichnet sich eine Lösung und das Verständnis des Arbeitgebers ab. Und auch sie bekennt: Immer, wenn es schwierig wurde, gings irgendwie weiter. Ob das die Sorgen der Kinder oder ihre schulischen Leistungen waren-  immer hat sich alles irgendwie gelöst.

Und ich frage nach, weil unser Gespräch über den Glauben ging: Und für sie war es auch Gott, der geholfen hat? Und sie antwortet: Ja, Gott sorgt dafür, dass trotzdem immer alles im Gleichgewicht bleibt, er nimmt schon irgendwie die Ängste und Sorgen ab: Wenn ich denke, es geht nicht weiter, tut sich eine neue Türe auf. Zufall nenne ich das nicht. Es ist eher so, dass Gott sagt: „Diesen Weg zeige ich dir jetzt, nimm ihn an, er tut dir gut.“.

Schon oft ist plötzlich eine Lösung vom Himmel gefallen. Manch einer von uns hat Ähnliches erlebt.

Liebe Schwestern und Brüder!

Jemand hat einmal von der „Heiligen Sorglosigkeit“ gesprochen: Die heilige Sorglosigkeit, das ist kein Schweben auf einer höheren Wolke ohne Realitätsbezug oder ein oberflächlicher Optimismus. Heilige Sorglosigkeit meint auch nicht, dass wir passiv bleiben oder werden sollen. Auch die beiden Frauen haben viel selbst dafür getan, dass sich ihre Schwierigkeiten lösen, z.B. bei der Krankenkasse angerufen und sich nach den Regeln für das Pflegegeld erkundigt, das Gespräch mit anderen gesucht, die da Erfahrung haben oder in einer ähnlichen Situation stecken. Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem Ruderboot. Das hat zwei Ruder. Das rechte Ruder steht für Gott. Wer mit ihm rudert, der vertraut ihm und erwartet alles von ihm. Doch wenn ich nur rechts rudere, dreht sich das Boot im Kreis und kommt nicht voran. Das linke Ruder, das ist das eigene Tun, die eigene Kraft. Doch auch wenn ich nur links rudere, dreht sich das Boot im Kreis. Damit es vorwärts kommt, muss ich mit beiden Rudern rudern, auf Gott vertrauen und gleichzeitig selbst Initiative ergreifen. Der Kirchenvater Augustinus hat einmal gesagt: „Bete, als würde alles arbeiten nichts nützen. Und arbeite, als würde alles beten nicht helfen.“. Das ist der dritte Weg, der Weg, der der Bibel entspricht: In allen Sorgen auf Gott vertrauen, sie Gott übergeben, aber gleichzeitig selbst daran arbeiten, dass sie kleiner werden. Petrus sagt ja auch: „Dem widersteht fest im Glauben“ – selbst widerstehen, die Kräfte zusammennehmen, und das eingebettet in den Glauben, im Vertrauen auf den, der erst die Kräfte gibt und Wege für uns findet.

Heilige Sorglosigkeit meint also nicht, dass wir nicht auch Unrecht in der Gesellschaft anprangern müssten, selbst auf die Umwelt achten oder selbst das Unsere dazu beitragen, damit sich „Wir schaffen das“ bewahrheitet oder anderen in ihren Sorgen und ihrer beistehen. Oder bei der Sorge um unseren geistlichen Menschen: Was wir da tun können, das ist, dass wir uns bewusst Zeit nehmen für die Begegnung mit Gott, beim Spazierengehen, im Gottesdienst oder einmal allein in der Kirche, bei einer Kerze zu Hause. Wir müssen ihm die Chance geben, sich bemerkbar zu machen, und uns Impulse zu schenken.

Heilige Sorglosigkeit bedeutet, dass wir wissen: Der Herr steht uns bei. Er wird es am Ende richten. Heilige Sorglosigkeit bedeutet, dass wir deshalb innerlich gelassener und ruhiger sind. Die Sorgen stehen nicht am Ende unserer Gedanken, sondern ihre Überwindung mit Gottes Hilfe.

Das lässt sich mit einer Zahlenfolge vergleichen, in der die Zahlen durch das ein oder andere Minuszeichen verbunden sind. Diese Zahlenfolge klammert man dann ein und setzt davor ein Plus. Wir gewinnen eine neue Sicht, die Sorgen haben nicht mehr das letzte Wort. Sie sind nicht plötzlich weg, aber ich kann mit ihnen durch Gott besser leben. Ich weiß nicht, wann Gott hilft, oder wie er es machen wird. Ich weiß aber, dass er es tut: Er sorgt für uns.

Jesus selbst hat aus dieser Heiligen Sorglosigkeit gelebt und sie gepredigt: Im Sonntagsevangelium haben wir gehört, wie er sagt: Die Lilien auf dem Felde säen nicht und ernten nicht, aber ihr himmlischer Vater nährt sie doch.

Wir leben dann auch in einer Art „heiligen Erwartung“ und sind gespannt darauf, wie Gott seine Wege mit uns diesmal gehen wird. Denn unsere Bestimmung ist es nicht, in Sorgen verschlungen zu werden. Petrus schreibt: Der Gott aller Gnade hat euch berufen zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus. Deshalb, so Petrus weiter, wird Gott euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ich wiederhole diese wunderbaren Worte nocheinmal langsam und schließe mit ihnen, denn in ihnen sagt Petrus uns zu: Egal wie laut der Löwe brüllt, er wird uns nicht verschlingen: Gott wird euch aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Gründen kommt von Grund – Gott stellt uns auf einen festen Grund, so dass uns nichts zu Fall bringen kann.

„Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

nach oben