Gottesdienst beim Dorffest OWB am 21. Juli 2019 (5. Sonntag nach Trinitatis)

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Dorffest OWB

Predigt:
Pfarrer Jörg Mahler

"Die Macht der
zwölf Jünger"

Predigttext:
Matthäus 9,35-38; 10,1.5-10 

Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. 

Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet. Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert. 

Predigt: 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen. 

1. Sehen 

Liebe Gemeinde, 

nehmen wir einmal an, es hätte Oberwohlsbach schon vor 2000 Jahren gegeben, und unser Dorf läge irgendwo in Galiläa. Alle Einwohner haben sich in der Dorfmitte versammelt und feiern ein großes Fest. Selten gibt es solche Anlässe, wo alle zusammenkommen. Umso fröhlicher sind Jung und Alt dabei, umso mehr Mühe haben sich alle bei der Vorbereitung der Speisen und der Getränke gegeben. 

Da kommt plötzlich eine kleine Wandergruppe aus dem Froschgrund herangelaufen. Dreizehn Männer und ein paar Frauen. „Hallo, wer seid ihr denn?“, heißt es. „Wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?“. Ein besonderer Gast ist dabei. Manch einer hat schon von ihm gehört. Tolle Wunder soll er vollbracht haben, wortgewaltig und zugleich einfühlsam soll er von Gott erzählen. „Kommt, setzt euch zu uns, feiert mit uns unser Fest.“ Und sie gesellen sich dazu. Und die Oberwohlsbacher und ihre Gäste aus Unterwohlsbach, Oeslau und der Gegend sind gespannt, was dieses fest mit diesen Gästen noch mit sich bringt. Der Wanderer, Jesus aus Nazareth, setzt sich mit an einen Tisch, und alle miteinander kommen sie ins Gespräch. 

Jesus hört, was Euch bewegt. Welche Sorgen ihr habt. Natürlich geht’s auch um die Politik und die Lebensumstände im Großen, aber viele unter euch öffnen sich und erzählen ihm auch, was so ihr privates Leben ausmacht. Jesus hört sich das nicht nur an, er hat auch immer ein gutes Wort parat. Er erzählt Geschichten, Gleichnisse, die dem ein- und anderen zu einer neuen Erkenntnis verhelfen, so dass sich bei ihm was ändern kann. 

Und Jesus erzählt auch, was ihn bewegt: die Sehnsucht danach, dass sich Gottes Herrschaft mehr und mehr bei den Menschen durchsetzt, dass das Reich seines himmlischen Vaters mehr und mehr Gestalt gewinnt. „Ja, das wäre was“, stimmen wir ihm zu. 

Da kommt einer der Jünger vom Nachbartisch rüber: Jesus, bei mir sitzt eine Frau, deren Kind ist schwer krank. Sie möchte, dass Du für ihr Kind betest.“ Ein Oberschlauer unter uns sagt: „Das bringt doch eh nix“. Was tut Jesus? Er fragt die Frau: „Glaubst Du, dass ich von Gott komme?“. „Ja, ich vertraue darauf, dass in deinen Worten die Kraft des Himmels liegt“. „Komm, gehen wir zu deinem Kind“. Und er geht hin in ihren Hof, legt dem Kind die Hände auf und es ward gesund zur selben Stunde. Und der Oberschlaue kommt in seinem Grübeln nicht weiter, wie das wohl zugegangen sei… 

Hier einer, den eine Schuld bedrückt. Jesus versucht, ihm den Weg zur Versöhnung zu zeigen. Dort einer, der keine Kraft mehr hat. Jesus zeigt ihm, wie er die Kraft Gottes anzapfen kann. Jesus redet und agiert auf diesem Fest mitten unter uns. Aber er macht sich auch seine Gedanken: Als er das Volk sah, jammerte es ihn, erzählt Matthäus. 

Zweierlei steckt in dieser Feststellung. Zuerst: Jesus sieht die Menschen. Den politischen Druck der Besatzer. Den schweren Alltag. Die Krankheiten. Die Sorgen. Die Suche nach dem, was hilft. Und die Folge: „Es jammerte ihn“. Es lässt Jesus nicht kalt, die Menschen zu sehen, und was sie belastet. Sie waren wie verschmachtet. Zerstreut, wie Schafe, die keinen Hirten haben. Orientierungslos, wie das eigene Leben oder wie es überhaupt mit der Welt weitergeht. 

So war es damals. Heute ists wohl ein bisschen anders, wenn auch nur ein bisschen: 2000 Jahre später ist vieles besser geworden, gibt es nicht soviel augenscheinliche Not wie damals: Wir haben einen anderen Lebensstandard, in Deutschland und auch in Oberwohlsbach muss kaum einer ums tägliche Überleben kämpfen. Wir haben Ärzte verschiedenster Fachrichtungen, Rettungswägen, Krankenhäuser, Pflegedienste, Beratungsstellen. Gott sei Dank. Und doch gibt es für den, der wie Jesus genau hinschaut, Nöte und Sorgen zu sehen: körperliche, emotionale, zwischenmenschliche Beziehungen betreffende, und auch finanzielle. Jesus schaut hin. Jesus sieht. Und er packt an mit Wort und Tat. 

Am Abend, als es schon spät ist, werden Jesus und seine Gruppe von ein paar von uns eingeladen, bei ihnen die Nacht zu verbringen. Zuvor möchte Jesus in der Kapelle noch ein Abendgebet sprechen. Und etliche gehen mit, hören, wie er betet und sprechen innerlich die Worte mit. Das Gebet, überhaupt die ganze Begegnung mit Jesus bewegt die Menschen innerlich. Sie spüren: Mit Jesus ist Gott in unser Dorf hineingekommen. Gott selbst hat uns besucht. 

Am Feuer in den Häusern unterhalten sich die Dorfbewohner noch lange mit den besonderen Gästen. Dann, am nächsten Morgen, heißt es Abschied nehmen. Jesus zieht mit den Seinen weiter. Mönchröden ist ihr Ziel, da werden sie auch gebraucht. Es geht hoch zum Weiler Gnailes. Dort auf dem Berg mit einem guten Blick in die Weite rasten sie. 

2. Urteilen 

Liebe Gemeinde, gute Politiker, gute Chefs in der Wirtschaft und auch gute geistliche Leiter gehen in einem Dreischritt vor: SEHEN – URTEILEN – HANDELN. Sehen – d.h. wahrnehmen, was ist. Urteilen – d.h. erkennen, was gut ist, wo Probleme liegen, was zu tun ist, Und schließlich: Handeln - damit es gut wird. Gesehen hat Jesus viel. Jetzt, als er mit seinen Jüngern allein ist, da ordnet Jesus das ein, was er erlebt und gesehen hat. Er kommt zu dem Urteil: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. 

Jesus spricht meistens in Bildern, so auch hier. Er verwendet das Bild der Ernte: Die Ernte ist groß. Viele Früchte warten darauf, gepflückt zu werden: die Frucht, wenn jemand getröstet ist, wenn jemand heil geworden ist an Leib und Seele, wenn jemand auf den rechten Weg findet, wenn jemand sich innerlich befreit fühlt. Viele Früchte können gepflückt werden, aber: Wer tuts? Wer ist für die Menschen da? Jesus allein kann nicht überall und zu aller Zeit für alle Menschen da sein. Wenige sind der Arbeiter, so seine Problemanalyse. 

3. Handeln 

Und Jesus bleibt dabei nicht stehen. Er handelt. Und zwar auf zweierlei Weise. 

3.1 

Als Sofortmaßnahme fordert er die Jünger auf: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. „Das Handeln beginnt mit dem Beten. Es geht auch ohne. Vieles im Leben sogar ganz gut. Aber wir bleiben mit dem, was uns belastet bei uns. Und da wird es unter der Hand zum Jammern. Im Beten zum „Herrn der Ernte“ gestehen wir ein, dass wir mit dem, was uns jammert, nicht allein fertig werden, dass wir Hilfe brauchen. Das Beten zum Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende, entlastet. Der Herr der Ernte ist es, der für die Ernte sorgt.“1 Und der aus dieser Bitte die innere Kraft wachsen lässt. Beten auch wir immer wieder. Bitten wir Gott um seine Unterstützung, und bitten wir ihn, dass auch zu uns und zu anderen in nah und fern so ein Arbeiter kommt und Ernte einfährt, also in unserem Leben und dem der anderen segensreich wirkt. 

3.2 

Jesus handelt. Zweite Maßnahme: Er beauftragt seine Jünger, solche Erntehelfer zu sein. 

Gott gibt sein heilsames Wirken in der Welt in die Hände von Menschen. „Er bleibt nicht bei sich. Er beteiligt, er lädt ein zur Mitarbeit. Er würdigt die Fähigkeiten, er traut zu. So beauftragt Jesus die zwölf Jünger. Sie eröffnen die Reihe der in seine Ernte gesandten Arbeiter.“.2 Der Evangelist Lukas erzählt, dass Jesus 72 Menschen aussendet, jeweils zu zweit sollen sie durch die Dörfer und Städte ziehen. Und kurz vor seiner Himmelfahrt, da spricht Jesus Worte, die wir an uns alle gerichtet verstehen: „Gehet hin in alle Welt“. Durch die Taufe gehören wir zu ihm. Durch die Taufe sind wir zugleich von ihm beauftragt, von ihm in die Welt und zu den Menschen gesandt. 

Als Erntehelfer, und begabt mit seiner Macht. In unserer Geschichte werden die Namen der Jünger genannt. „Der Name macht unverwechselbar. Petrus, der selbstsichere. Er hat Jesus verleugnet. Er wird gesandt. Aber auch die anderen, mit ihren großen und kleinen Gaben, sie werden gebraucht. Zeuge für Gottes Erbarmen zu sein, das braucht nicht die großen Worte und Taten. Sondern den, der man ist. Mit den Gaben und Fehlern. Mit Glaube und Zweifeln. Mit kleiner Kraft und doch wirksam. Zum Beispiel im Gebet sind wir alle gleich begabt. Kein Enkel vergisst es, wenn ihm sein Großvater sagt: „Ich bete für dich!“. Und erst recht vergisst es keiner, wenn man in seiner Not nicht alleingeblieben ist.“3 

Jesus gibt den Zwölfen ein paar ganz konkrete Aufgaben, und diese sind auch transparent für unsere Aufgaben in der Welt: 

- Predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Auch heute gilt das für Euch alle: Bezeugt, dass Gott lebendig ist und mitten unter uns wirkt. Erzählt den Kindern und Enkeln die Geschichten von Jesus. Sag deinem Nächsten: Verlass dich auf Gott, der steht dir zur Seite. So wird unsere Welt wieder durchsichtiger für Gottes Gegenwart mitten unter uns. 

- Macht Kranke gesund. Auch heute gilt das für Euch alle, nicht nur für die Ärzte: Ein Besuch bei einem, der krank zu Hause ist und ein gutes Wort, das stärkt die inneren Kräfte. Eine gesunde Seele gibt dem Körper Kraft zur Heilung. 

- Weckt Tote auf. Auch heute gilt das für Euch alle, und nicht nur für unseren Herrn am Ende der Zeiten: Manch einer ist wie im Tod gefangen, weil er keinen Weg mehr sieht. Gute Worte helfen, praktische Unterstützung, Perspektiven aufzeigen und den Weg aus dem dunklen Tal mitgehen. 

- Macht Aussätzige rein. Auch heute gilt das für Euch alle: Das Problem bei den Aussätzigen damals war, dass sie draußen vor dem Dorf leben mussten, weil sie als unrein galten. Integriert die, die am Rande stehen. Wechselt auch mal ein freundliches Wort mit den Geflüchteten, die mitten unter Euch wohnen. Sucht Kontakt zu den Neuzugezogenen, damit sie hier nicht nur wohnen, sondern mit der Zeit überzeugte Oberwohlsbacher werden, die die Feste mitfeiern und sich auch einbringen in die Dorfgemeinschaft. 

- Treibt böse Geister aus. Auch heute gilt das für Euch alle: Wehrt Parolen ab, die Menschen ausgrenzen, die schwarz-weiß statt bunt denken, denn Parolen führen zur Verrohung und aus ihnen werden sehr schnell Taten, wie uns der Mord an Walter Lübcke erschreckend vor Augen geführt hat. 

Jesus beauftragt die Zwölf, er beauftragt uns als seine Menschen. Er beauftragt uns, in Wort und Tat für das Reich Gottes tätig zu werden. Eine Ehre, an seiner Seite mittun zu dürfen. Und eine Freude, wenn man die wunderbaren Früchte sieht, die durch diesen unseren Dienst entstehen und geerntet werden. 

Jesus geht’s darum, die Menschen zu Gott zurückzuholen, die Nähe Gottes für sie erfahr- und erlebbar zu machen. Behalten wir selber unsern Gott im Blick, und helfen wir anderen, ihn wieder in den Blick zu bekommen und ihn zu erleben. 

Damals ist Jesus weitergezogen, in andere Dörfer und Städte. Doch seit seiner Himmelfahrt, seit er zur Rechten Gottes sitzt, ist er zusammen mit dem Vater durch den Heiligen Geist überall präsent und gegenwärtig. Er wirkt weiterhin heilsam, und gibt uns die Kraft, in seinem Namen mitzutun. Auch hier in Oberwohlsbach, Unterwohlsbach und Oeslau. 

4. „Umsonst“ 

Ein Satz von Jesus an die Zwölf und auch an uns hat mir ganz besonders gut gefallen, und der soll als Zusammenfassung der letzte Gedanke der Predigt sein: Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch. Umsonst haben wirs empfangen: soviele Wohltaten Gottes, soviel Segen, soviel Kraft und Hilfe, soviel Schutz. Umsonst schenkt ers uns. Darum: Umsonst gebt es auch! Jesus beauftragt euch. 

Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.